Kalifornische Vorstadtidylle im Juni 1983.

Foto: © Courtesy of the artist and Luhring Augustine, New York, 2012

Wien - Gut gelaunt betritt Joel Sternfeld, der Pionier der Farbfotografie, die Albertina. Im Folkwang-Museum in Essen war ihm vor einem Jahr die erste große Sternfeld-Retrospektive in Europa gewidmet, die zweite, ebenso umfangreiche, präsentiert nun die Albertina (vom 27. 6. bis 30. 9.). In neun Sälen bereitet Kurator Walter Moser das beeindruckende fotografische Werk Sternfelds auf, der Mitte der 1980er-Jahre mit seiner Serie American Prospects sich und der New Color Photography zum künstlerischen Durchbruch verhalf. 

Mit (sozial-)kritischem Blick, sensibel und skeptisch gleichermaßen, dokumentiert Sternfeld Amerika, seine Landschaften und Menschen. Sich selbst lässt er allerdings kaum fotografieren. Und Interviews? Schon gar nicht: "Haben Sie irgendwo schon einmal ein Interview von mir gelesen?"

STANDARD: Warum nicht?

Sternfeld: Jede ernst zu nehmende Kunst widersetzt sich der Definition durch Sprache. Kunst ist visuell. Alles, was ich tun könnte, wäre, die Kunst mit Worten zu verletzen. Es ging mir stets darum, die Sprache der Fotografie zu erweitern. Fotografie ist ja eine stumme Sprache. Sie sagt einzelne Worte; aber sie formt keine Sätze, Kapitel, Bücher. Genau das versuche ich in meiner Arbeit: Sätze, ganze Bücher zu sagen.

STANDARD: Also sprechen wir nicht über Ihre Fotografie, sondern darüber, warum Sie Fotograf wurden.

Sternfeld: Mein Vater machte kommerzielle Kunst, um uns vier Kinder zu ernähren, meine Mutter war eine zwar unbekannte, aber großartige Bildhauerin. Und ich malte - grauenvoll. Eine Freundin drückte mir einen Fotoapparat in die Hand. Damals hasste ich Fotografie, ich dachte, alle Fotografen wären Idioten: Etwas Schönes in der Welt passiert, und die fummeln mit ihren Apparaten herum (lacht). Nun bin ich selber einer dieser Idioten.

STANDARD: Konnten Sie bei Künstlereltern überhaupt etwas anderes als Künstler werden?

Sternfeld: Im Gegenteil. Meine Eltern entmutigten mich. Speziell meinem Vater brach das Herz, als ich mich entschied, Künstler zu werden. Er wusste ja, wie hart dieses Leben ist. Mir geht es ähnlich. Ich bin mit einer Künstlerin (Stuart Hawkins, Anm.) verheiratet, wir haben einen dreijährigen Sohn; als uns unlängst im Kindergarten gesagt wurde, er sei ein talentierter Zeichner, riefen wir beide: "O Gott. Alles, nur das nicht!"

STANDARD: Fotografieren Sie ihn?

Sternfeld: Selten. Manchmal denke ich, ich sollte eine Serie mit ihm machen, dann verwerfe ich die Idee wieder, denn unsere Beziehung würde sich ändern. Wenn er weint, möchte ich nicht denken: "Das wäre jetzt ein gutes Foto", sondern ihn trösten, ihm nahe sein.

STANDARD: Sie leben in New York?

Sternfeld: Ja, in Tribeca - da lebte ich schon, als es noch nicht so schick war, sondern eine Geisterstadt und sehr poetisch. Ich mag New York, aber ich mochte es vor vielen Jahren noch viel mehr. Damals war die Stadt vielfältiger, roch authentischer. Nun wird sie wie alle Großstädte zunehmend desinfiziert. Es gibt nur mehr ganz Reiche und ganz Arme. Alle anderen, die das Leben einer Stadt bunt und vielfältig machen, sind weggezogen. Queens ist allerdings ein interessanter Stadtteil, ich arbeite gerade an einem Buch darüber: In Queens leben 150 verschiedene Nationalitäten, und sie haben Freiheiten und Räume, um Dinge zu kreieren, die sie an ihre Heimatländer erinnern.

STANDARD: Ab wann wussten Sie eigentlich, dass Sie Fotograf werden?

Sternfeld: Ab der ersten Filmrolle! Es war Liebe auf den ersten Blick. Wie bei meiner Frau. Wir sind uns ein paar Mal über den Weg gelaufen. Aber als wir uns richtig zu verabreden begannen, heirateten wir nach dem dritten Date.

STANDARD: Welches Thema ist in der Fotografie Ihre große Liebe?

Sternfeld: Die Natur. Vor allem der Wechsel der Jahreszeiten faszinierte mich schon als kleiner Bub. Es ist ein spannendes Thema, gerade für Fotografie, seltsamerweise beschäftigt sich kaum wer damit. Als ich die High Line (zu einem Park umfunktionierte Hochbahntrasse in Manhattan, Anm.) fotografierte, passierte dies nicht zufällig. Ich hatte mich quasi mein ganzes Leben lang darauf vorbereitet. Ich wusste, wie die Jahreszeiten in den Baulücken und leeren Arealen im Wandel der Jahreszeiten ausschauten. Als man mich an einem kalten Märztag zur High Line brachte, war alles braun, nichts wuchs. Aber ich wusste genau, wie es im Mai und Juni aussehen würde,

STANDARD: Begonnen haben wir damit, warum Sie kein Interview geben. Warum lassen Sie sich kaum fotografieren?

Sternfeld: Es gibt eine alte französische Weisheit: Um glücklich zu leben, lebe verborgen. Als ich für American Prospects, meiner vielleicht wichtigsten Serie, in einem VW-Camper jahrelang durch die USA reiste, wusste niemand, wer ich war. Ich schlug damals eine Teilnahme im Museum aus, um anonym zu bleiben. Ich wollte, dass es nur mich gab; mich und die amerikanische Landschaft und die amerikanischen Menschen - ich hatte sie überall, in meinen Haaren, in meinen Zähnen. Die Anonymität hilft mir, bei mir zu bleiben. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 25.6.2012)