Elliott Erwitt hat den Blick fürs Absurde: Die richtige Perspektive macht aus diesem Herrl zweier Möpse ein Hundswesen ("New York", 2000).

Foto: Standard/Heribert Corn

Wien - Obwohl man ihn darauf gar nicht sehen kann, hat US-Fotograf Elliott Erwitt 1991 ein sehr stimmiges Selbstporträt von sich geschossen: Es zeigt seinen Schatten auf grüner Wiese, zwei Gänseblümchen markieren die Augen des Fotografen. Ein Bild, das nicht nur den Blick des Lichtbildners für entscheidende Details beweist, sondern gleichzeitig auch seinen Humor offenbart. Viele seiner Fotos leben von diesem Witz: Die scheinbar auf einen vorüberfliegenden Jet hinabblickende Möwe, die mit dem Straßenkreuzer wettstreitende Dampflok oder die anmutige Turmfigur, die mit dem Mond am Kopf balanciert.

Mit Bildern von frisierten Pudelpopos, bemützten Chihuahuas und Mischlingen, die beachtliche Luftsprünge vollführen, sorgt Erwitt auch beim Publikum für erfrischendes Lachen. Oder er drückt dazu einfach auf die an seinem Spazierstock montierte Hupe: "Die Menschen lachen dann, Hunde schauen", behauptet Erwitt, um dies bei seinem Wien-Besuch auch sofort unter Beweis zu stellen. Jedoch, so räumt er im STANDARD-Gespräch ein, nicht alle fänden seine Fotos lustig. "Manche finden sie ausgesprochen albern." Warum er insbesondere Hunde fotografiert, wird Erwitt gern gefragt: "Katzen haben nicht so viel Ausdruck wie Hunde. Sie sind bloß schön."

Zuletzt war Erwitt vor mehr als 50 Jahren in Wien zu Gast: 1958 war er Setfotograf in Anatole Litvaks "Die Reise" mit Deborah Kerr und Yul Brynner. Nun führt den humorbegabten 83-Jährigen eine Retrospektive im Kunsthaus. Von den dort präsentierten Aufnahmen habe er die meisten Bilder zum eigenen Amüsement geschossen, sagt Erwitt. Denn für Auftraggeber fotografiere man nicht immer das, was einen wirklich interessiert, "aber so verdient man eben seinen Lebensunterhalt", gesteht der ehemalige Magnum-Fotograf schmunzelnd.

Ein solches Auftragsfoto wurde allerdings ziemlich berühmt: Es zeigt die " Küchendebatte" zwischen Chruschtschow und Nixon 1959 in Moskau, und dabei eben jenen Moment, als das hitzige Zusammentreffen in einer aggressiven Geste kulminiert: dem Finger des US-Vizes auf dem Revers des obersten Sowjet. Nixon habe das Foto 1960 für seine Wahlkampagne benutzt. "Ich hätte mich nicht wohl damit gefühlt, wenn mein Bild etwas mit seinem Sieg zu tun gehabt hätte", sagt er später in einem Interview. Aber Nixon scheiterte.

Während nun die Albertina seinen 15 Jahre jüngeren Landsmann und Verteter der "New Color Photography" Joel Sternfeld präsentiert, zeigt das Kunsthaus mit dem New Yorker Erwitt einen expliziten Verfechter des Schwarz-Weiß: "Die Synthese einer Situation ist Schwarz-Weiß", sagt er. Obendrein kann er seine Bilder auf diese Art und Weise besser kontrollieren, da es ihm so möglich ist, sie selbst zu entwickeln.

Als Sohn russischer Einwanderer 1928 in Paris geboren und in Mailand aufgewachsen, floh seine Familie 1939 vor den Nazis und gelangte mit dem letzten regulären Passagierschiff in die USA. Das Neue von New York und später von Los Angeles saugte Erwitt in sich auf, begann im Alter von 14 mit einer alten Plattenkamera zu fotografieren, streunte durch die Stadt, wurde zum "Voyeur". Seine erste "seriöse" Kamera war eine Rolleiflex. Von Anfang an bewunderte Erwitt die Fotografie Henri Cartier-Bressons. Bis heute ist er für ihn der Größte. Sein liebstes Foto von Cartier-Bresson ist ein Bild vom Gare d'Austerlitz von 1932: Es sei "atmosphärisch und emotional" zugleich. "Eine simple Beobachtung war alles, was es brauchte, um dieses Bild zu produzieren". Mit solchen Fotos seinen Lebensunterhalt zu verdienen, das war es, was Erwitt auch wollte. Im Büro zu sitzen, das widerstrebte ihm.

Erst Jahre später, Erwitt ist 22 Jahre alt, wagt er den nächsten Schritt und zeigt Edward Steichen seine besten Aufnahmen. Der große Fotograf wird zu seinem Mentor. Während des Militärdienstes fotografiert Erwitt für die US-Armee in Deutschland und Frankreich. 1952 läd ihn Robert Capa ein, Mitglied in der Agentur Magnum zu werden; Erwitt wird also Teil jener die Bildsprache des amerikanischen Fotojournalismus prägenden Elite.

Dass sich die Zeiten für Fotojournalisten verschlechtert haben, ist sich Erwitt bewusst. Sogar er selbst hat sein Einkommen einst zu guten Teilen in der Werbung verdient. Es gebe heute wenig Möglichkeiten, um seine Fotografien im journalistischen Kontext zu verwerten, sagt der renommierte Fotograf. "Fernsehen und digitale Fotografie haben es einfacher gemacht, aber auch gewöhnlicher". Manchmal fände man in Zeitungen und Magazinen auch heute noch wirklich gute und interessante Bilder, aber man suche sie inzwischen eher in Büchern und Ausstellungen. Was ein gutes Bild ist? "Gut komponiert, mit gutem Inhalt und Magie. Und Magie kann man nicht erklären." Ob er trotzdem ein Beispiel geben kann? "Ein Bild, das kommuniziert, dass sie Lachen oder Weinen macht, ihnen etwas erzählt oder zeigt, was sie vorher nicht wussten oder gesehen haben."

Intuition, Glück und Neugier müsse man mitbringen, sagt der eher wortkarge Fotograf, der Fragen selten mit mehr als einem Satz beantwortet. Die Qualitäten des Fotografen liegen im Sehen: Ein Voyeur, eine "schauende Person", müsse er sein. Und er braucht mehr Tricks als jenen mit der Hupe. Etwa im Museum. Erwitt geht gern ins Museum, nicht unbedingt mit dem Ziel dort zu fotografieren. Aber da er nie müde wird, ein gutes Bild in einer Begebenheit zu entdecken, müsse man auch dort trotz Verbot knipsen. Im Prado etwa die Menschen vor Goyas zwei "Maja"-Gemälden, dem einen mit, dem anderen ohne Kleidern. Oder im Schloss von Versaille, wo neugierige Köpfe sich nach dem Zettel recken, der statt dem fehlenden Gemälde an der Wand hängt. Wichtig sei, die Aufsicht abzulenken oder zumindest mit einem Husten, das Geräusch des Auslösers zu übertönen erzählt Erwitt.

Und auf der Straße gelte immer noch: "Niemals vorher fragen, sonst gibt es kein Foto." Die Protagonisten seiner Fotos, wissen oft nicht davon. Sie bemerken ihn gar nicht. Besonders leicht sei das in Japan: "Das ist ein sehr lustiger Platz um Fotos zu machen." Jeder mache dort ständig Fotos, da nimmt niemand Notiz von einem Fotografen. Auf der Straße zu fotografieren sei heute zwar schwieriger geworden und es bestünde die Gefahr, verklagt zu werden, "aber Street Photography ist nicht tot". (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, Langfassung, 26.6.2012)