Wien - Fast jede Woche kommt es derzeit zu Abschiebungen, die Familien trennen, weil ein Elternteil mit dem Nachwuchs in Österreich zurückbleibt. Vergangenen Donnerstag sollte Kenan S. (57) den unfreiwilligen Heimflug antreten.

In der Türkei unliebsamer politischer Aktivist, in Österreich abgewiesener Asylwerber und Vater eines einjährigen Sohnes mit einem schweren Herzfehler, war er am Mittwoch um drei Uhr morgens von der Fremdenpolizei aus dem Bett geholt und in die Schubhaft gebracht worden. Für seine 35-jährige Lebensgefährtin, eine türkische Studentin in Wien, war das schlichtweg eine Katastrophe. "Unser Sohn braucht intensive Betreuung. Kenan kümmert sich um ihn, während ich studieren und arbeiten gehe."

Umso größer war ihre Freude, als sie am Donnerstag erfuhr, dass ihr Lebensgefährte dem Flugzeug in Wien wieder entstiegen war: Unterstützer beim Departure und er selbst hatten Mitpassagieren die Lage auseinandergesetzt, sodass sich der Pilot weigerte, ihn mitzunehmen.

Kein Rückreisezertifikat

In den Flieger war S. ohne Begleitbeamten gesetzt worden: "Wenig ungewöhnlich", heißt es bei Fremdenpolizei. Auch ein Rückreisezertifikat, wie es Behörden des Herkunftslandes vor der Abschiebung ausfolgen müssen, fehlte: Die türkische Botschaft hatte S. keines ausgestellt.

Dafür hatten Fremdenpolizisten ihm einen alten, türkischen Personalausweis aus den Asylakten in die Hand gedrückt: Ein zweifelhaftes, weil inzwischen ungültiges Dokument, meint Rechtsberater Tim Außerhuber. Die Fremdenpolizei sieht das anders: "Es wird bald einen neuen Abschiebeversuch geben."

Bereits in sein Herkunftsland gebracht wurde hingegen Omar D. (24) aus Gambia. Vor seiner Abschiebung am Donnerstag war er acht Jahre in Österreich gewesen. Seine Wiener Freundin und sein vierjähriger Sohn werden ihn nun für lange Zeit nicht mehr sehen, vielleicht sogar für immer. (Irene Brickner, DER STANDARD, 26.6.2012)