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Motorradfahrer gehören zu den besonders gefährdeten Verkehrsteilnehmern.

Foto: APA/Frank May

3.441 Motorradunfälle fanden 2011 auf Österreichs Straßen statt. Jedem 50. Unfall ist ein Mensch zum Opfer gefallen. Im Vergleich dazu endet im Auto für jeden 86. Unfallbeteiligten die Fahrt tödlich. Ohne Knautschzone sind Motorradfahrer trotz Helms und entsprechender Lederbekleidung besonders exponierte Verkehrsteilnehmer. Und neben dem erhöhten tödlichen Unfallrisiko ist auch der Verletzungsgrad im Rahmen eines Motorradunfalls entsprechend oft schwer. 

Zeuge oder Beteiligter - die Verpflichtung zur Ersten Hilfe ist bei jedem Verkehrsunfall gegeben. Ist ein Motorrad involviert, sind Ersthelfer besonders verunsichert. Vor allem die Frage, ob der Helm abgenommen werden muss oder nicht, steht häufig im Raum.

Verhängsvolles Atemhindernis

"Es gibt eine ganz klare Strategie: Helm herunter, in jedem Fall", sagt Wolfgang Schreiber, Notfallmediziner am Wiener AKH und Chefarzt des Österreichischen Roten Kreuzes. Ist der Verletzte bei Bewusstsein, soll der Ersthelfer behilflich sein, den Helm vorsichtig abzunehmen. Ist der Verletzte ohne Bewusstsein, muss der Helm ebenfalls herunter, weil es sonst nicht möglich ist, die Atmung eines Verunfallten zu beurteilen und zu überprüfen. Außerdem kann der Helm einem bewusstlosen Motorradfahrer zum verhängnisvollen Atemhindernis werden.

Im besten Fall finden sich vor Ort zwei Helfer ein, die gemeinsam den Helm vom Kopf des verletzten Motorradfahrers nehmen. Auf der Homepage des Österreichischen Roten Kreuzes ist zu lesen, wie eine korrekte Helmabnahme funktioniert: "Ein Ersthelfer kniet oberhalb des Kopfes, erfasst seitlich mit beiden Händen den Helm und richtet den Kopf des Patienten unter leichtem Zug gerade. Der zweite Ersthelfer kniet seitlich neben dem Kopf des Verunglückten, klappt das Visier oder Sichtglas hoch, entfernt gegebenenfalls die Brille und öffnet den Kinnriemen. Während der Helmabnahme sorgt der zweite Helfer für die Fixierung des Kopfes. Dazu greift er mit der einen Hand unter den Nacken, mit der anderen Hand umfasst er das Kinn des Verunglückten."

Prioritäten setzen

Erlernen lässt sich diese Methode in Erste-Hilfe-Kursen. Dem Ersthelfer, der seinen letzten Kurs vielleicht Jahrzehnte zuvor besucht hat, nützt das Wissen darüber allerdings wenig. Die Angst, dem Verunfallten das Genick zu brechen, lässt ihn eventuell gar nichts tun. "Der Grad der Verletzung des Verunfallten wird in erster Linie durch die Gewalt des vorangegangenen Unfallmechanismus bestimmt und nicht durch die Abnahme des Helmes", will Schreiber Ersthelfern die Scheu nehmen. Nebenbei gilt es laut Schreiber, Prioritäten zu setzen: "Atmung beziehungsweise freie Atemwege besitzen eine ungleich höhere Priorität als die Schonung der Halswirbelsäule beziehungsweise die Sorge vor weiteren Verletzungen durch Manipulation."

Blutungen, offene Frakturen, Atemstillstand - der Ersthelfer befindet sich in der Unfallsituation in einem Ausnahmezustand, in dem er am besten "auf seinen Menschenverstand und Hilfestellungen zu Erste-Hilfe-Maßnahmen durch die Rettungsleitstellen vertraut". Von allzu strikten Reglementierungen in der Ersten Hilfe hält Schreiber nicht viel, da ein Unfallgeschehen oft individuelle Maßnahmen und Lösungen erforderlich macht.

Ersthelfer als Experte

"Für den Patienten muss die Lage möglichst erträglich und angenehm sein", betont der Notfallexperte. Für den Ersthelfer heißt das, eventuell darauf zu verzichten, den Verunfallten in die stabile Seitenlage zu bugsieren, wenn eine schmerzhafte Fraktur im Unterschenkelbereich vorliegt. "Bei Verkehrsunfällen werden Ersthelfer zu Experten, weil sonst niemand da ist", sagt Schreiber. Rechtliche Konsequenzen müssen Ersthelfer nur fürchten, wenn sie am Unfallort untätig bleiben. (Regina Philipp, derStandard.at, 27.6.2012)