Berlin/Brüssel - Am Donnerstag und Freitag findet in Brüssel der Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs der EU statt. Deutschland hat zu Beginn vor übertriebenen Erwartungen über eine Banken- oder Fiskalunion gewarnt und damit dem italienischen
Ministerpräsidenten Mario Monti widersprochen. Derweil zeichnet sich ab, das Jean-Claude Juncker Eurogruppenchef bleiben soll.
Monti hatte im Vorfeld des Treffens vor einer "Katastrophe" gewarnt, sollte es zu keinem großen Wurf kommen. Indirekte Rückendeckung bekommt er dabei von Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ). Er unterstützt Ideen zur Schaffung eines europäischen Schuldentilgungsfonds und einer Bankenkonzession für den Europäischen Stabilisierungsmechanismus (ESM), die Deutschland ablehnt. "Es werden Maßnahmen (gefragt; Anm.) sein, die Mario Monti vorschlägt", sagte der Bundeskanzler.
Pikantes Detail am Rande: Im knapp 15-seitigen Gipfelentwurf findet sich nur eine halbe Seite über eine stärkere Integration der EU inklusive Fiskal- und Bankenunion. Ganze neun sind hingegen dem "Wachstums- und Beschäftigungspakt" gewidmet, um den es beim Treffen ja eigentlich geht.
Maßnahmen zur Absicherung der Eurozone
Das europäische Spitzentreffen beginnt mit einer Debatte über die höchst umstrittene Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020. Noch am Donnerstag soll dann ein Wachstumspakt beschlossen werden, der Ausgaben in Höhe von 130 Milliarden Euro vorsieht und sich auch auf Jugendbeschäftigung fokussiert. Dabei handelt es sich zu einem großen Teil um ohnehin bereits vorgesehene Ausgaben. Hinzu kommen neue Kredite der Europäischen Investitionsbank (60 Milliarden Euro) und Projektanleihen von etwa 18 Milliarden Euro. Details über die von manchen als "Fantasiezahlen" bezeichneten Planspiele finden Sie hier.
EU-Kreise rechneten am Donnerstag hingegen nicht mit einer Einigung über die sogenannte Bankenunion, die eine europäische Bankenaufsicht, die gemeinsame Sicherung der Einlagen sowie eine von den Banken selbst finanzierte Rettungseinrichtung vorsieht. Dies könnte Ende 2013 in Kraft treten. (Hier geht es zu den offenen Punkten)
Diplomaten sagten in Brüssel, bei dem Gipfel werde es auch um kurzfristige Maßnahmen zur Absicherung der Eurozone gehen. Im Kern geht es darum, den Druck von Spanien und Italien zu nehmen, die hohe Zinsen für ihre Anleihen zahlen müssen. Italiens Ministerpräsident Mario Monti hatte Anleihenkäufe durch den Krisenfonds EFSF ins Spiel gebracht. Spindelegger sieht das skeptisch, eine Maßnahme allein könne nicht alles lösen. Ein solcher Ankauf ist freilich unter den bisherigen Vorgaben bereits möglich, der Fonds machte aber bisher keinen Gebrauch davon.
Deutschland warnt vor Panikmache
Eurobonds dürften hingegen nur am Rande vorkommen. Angela Merkel spricht sich weiter resolut gegen eine Vergemeinschaftung von Schulden aus. In deutschen Regierungskreisen wurde auch vor Panikmache gewarnt, wenn es zu keinen konkreten Entscheidungen kommt, sondern lediglich zu Arbeitsaufträgen. Monti ließ damit aufhorchen, dass eine Nicht-Einigung "politische Kräfte" freisetzen könnte, die den Euro "zur Hölle fahren lassen" würden. Merkel widersprach dem, im Zentrum etwaiger Paktbeschlüsse stünden vorrangig Wachstum und Beschäftigung.
Kritik äußerte Deutschland an der Überbetonung der in einem Papier der Präsidenten von EU-Rat, Europäischer Zentralbank (EZB), Europäischer Kommission und Eurogruppe enthaltenen gemeinsamen Haftung, während der Verantwortung der einzelnen Staaten nicht so großes Gewicht beigemessen worden sei.
Österreichs Bundeskanzler Faymann sieht in der Gipfelvorlage dennoch eine "positive Diskussionsgrundlage". Und Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker verteidigt das Papier, an dem er federführend mitgewirkt hat, gegenüber Deutschland. Es helfe, "wenn man den Bericht in Gänze, seine einzelnen Elemente abwiegen und kommentieren würde, anstatt sich nur auf einen Aspekt zu konzentrieren, der nicht im Mittelpunkt der Überlegungen der vier Präsidenten steht", sagte Juncker in Brüssel.
Juncker soll Eurogruppenchef bleiben
Jedenfalls werde das Wort Konvent - dieser wird bei einer breiten EU-Reform eingerichtet - nicht vorkommen, hieß es aus deutschen Regierungskreisen. Als fix gilt hingegen, dass der luxemburgische Ministerpräsident Juncker Chef der Eurogruppe bleiben soll. Darüber hätten sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder am Rande des EU-Gipfels verständigt, sagten zwei mit dem Vorgang Vertraute am Donnerstag. Zugleich stehe fest, dass der bisherige Chef des provisorischen Rettungsschirms EFSF, Klaus Regling, auch den Nachfolgefonds ESM leiten werde.
Formal dürften die EU-Finanzminister bei ihrer Sitzung am 9. Juli Juncker neuerlich absegnen. Es wäre das fünfte Mal.
Hollande machte Rückzieher bei Eurobonds
Derweil macht Frankreichs Präsident Francois Hollande einen Rückzieher bei den Eurobonds, für die er beim Sondergipfel vor vier Wochen noch offensiv geworben hatte. Sie seien eine "Perspektive" für die nächsten zehn Jahre.
Zu Euro-Bonds merkte Österreichs Kanzler Faymann an, dass es zwar dauern werde sie einzuführen, aber sie langfristig notwendig wären, "wenn wir Stabilität haben wollen". Einen Schritt in Richtung gemeinsam begebener Staatsanleihen sieht er in der von ihm befürworteten Bankenkonzession für den dauerhaften Rettungsschirm ESM. Auch für Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) sind Eurobonds langfristig möglich, kurzfristig bleibt er aber skeptisch: "Eine Verteilung der Schulden - so eine Art Schuldenclub Europa - dafür stehe ich nicht zur Verfügung."
Umstrittenes Einladungsschreiben
An dem Einladungsschreiben zum Gipfel nach Brüssel hatten neben Van Rompuy auch Kommissionschef Jose Manuel Barroso, Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker und EZB-Präsident Mario Draghi mitgewirkt. Darin wird eine Diskussion um einen historischen Machtverzicht der nationalen Regierungen und Parlamente eröffnet. Es schlägt eine strikte Kontrolle der nationalen Budgets, eine Kontrolle der Banken durch EU-Aufseher und mittelfristig eine Vergemeinschaftung der Schulden vor.
Einer dieser vier EU-Präsidenten, der Kommissionschef, soll nach Willen Außenminister Spindeleggers künftig von den Menschen im Rahmen der Europawahlen direkt gewählt werden: "Weil der dann eine andere Position hat, wenn er von den Bürgern direkt gewählt ist und damit stark ist."
Spanien hofft auf Befreiungsschlag
Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy erhofft sich von dem Gipfel einen Befreiungsschlag, der die viertgrößte Wirtschaftsmacht der Eurozone aus der schlimmsten Not rettet. Sein Land könne den Staatshaushalt zu den jetzigen Bedingungen nicht mehr lange Zeit finanzieren, warnte der Regierungschef. Die Zinssätze seien für das Land nicht mehr lange bezahlbar. Die Zinsen für 10-Jahres-Staatsanleihen sind am Donnerstag auf 6,983 Prozent gestiegen und befinden sich trotz zugesagter EU-Bankenhilfe von bis zu 100 Milliarden Euro auf dem Sprung über die 7-Prozent-Marke.
Auch italienische Renditen wurden mit 6,225 Prozent neuerlich teurer. Portugiesische Zinsen kletterten wieder über zehn Prozent und lagen bei 10,097 Prozent. Österreichische Renditen wurden mit 2,371 Prozent gegenüber dem Vortag etwas billiger, auch deutsche Zinsen gaben auf 1,512 Prozent nach.
Um das Problem der Hochzinsländer anzugehen, hat Finnland vorgeschlagen, sich mit der Ausgabe von neuen pfandbriefähnlichen Staatspapieren Luft an den Kapitalmärkten zu verschaffen. Diese neue Art von Covered Bonds könnte mit Staatsvermögen oder künftigen Steuereinnahmen gedeckt werden, erklärte Ministerpräsident Jyrki Katainen am Donnerstag. Das hätte schon Finnland in den 1990er Jahren geholfen. Nach seinem Modell könnten die Euro-Rettungsschirme EFSF und ESM am Primärmarkt intervenieren, um die erfolgreiche Platzierung solcher Papiere zu erleichtern.(APA, 28.6.2012)