Wien - Durchwegs bekannte Pro- und Contra-Positionen sind am Donnerstag beim öffentlichen Experten-Hearing des parlamentarischen Verfassungsausschusses zum Euro-Rettungsschirm ESM aufeinandergetroffen. Einigkeit gab es unter den geladenen zehn Experten und den Sprechern der Parlamentsfraktionen nur darüber, dass mit dem ESM nicht alle Probleme der Eurozone gelöst werden könnten. "Das ist ein Wunsch ans Christkind", sagte etwa ein Experte. Für die Mitspracherechte des österreichischen Parlamentes beim ESM habe man eine "herzeigbare" Lösung gefunden, so der Obmann des Verfassungsausschusses, Peter Wittmann (SPÖ).

Der österreichische Vertreter im ESM-Gouverneursrat - im Regelfall wird dies die Finanzministerin sein - dürfe zu Hilfen oder wesentlichen Änderungen nur zustimmen, wenn es vorher einen Beschluss im Nationalrat gegeben habe "Wenn also in Österreich der Beschluss gefasst wird, nicht zuzustimmen, dann gibt es wegen des Einstimmigkeitsprinzips auch keine Zustimmung im Gouverneursrat", sagte Wittmann. Falsch sei auch die Behauptung, es gebe beim ESM keine Kontrolle.

Dauerhaftes Instrumentarium

Mit dem ESM habe man ein dauerhaftes Kriseninstrumentarium geschaffen, mit dem in der Eurozone Finanzkrisen gemanagt werden könnten und das auf Stabilität ausgerichtet sei, erläuterte Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) in ihrem einleitenden Statement. Der ESM sei ein "Europäischer Währungsfonds" und ähnlich wie die Weltbank oder der Internationale Währungsfonds (IWF) ausgestattet. "Er kann dabei helfen, wenn Staatskrisen auftauchen oder Banken zu retten sind", so Fekter.

Auf Österreich entfallen 2,2 Mrd. Euro des Stammkapitals sowie 17 Mrd. Euro an abrufbarem Kapital. "Selbstverständlich ist das vom Parlament zu beschließen", so Fekter. Das österreichische Parlament habe die größten Mitwirkungsrechte unter den Euroländern, auch wenn es in den operativen Bereich gehe. Falsch sei, dass von der ESM-Führung unbeschränkt Kapital abgerufen werden könnte. Die Immunität der für den ESM handelnden Personen solle diese nur vor Angriffen von Spekulanten oder Zockern schützen, dass diese den ESM nicht "niederklagen" könnten.

Kein Stabilitätsbringer per se

Die Hoffnung, dass der ESM Stabilität bringen werde, sei eine naive Annahme, meinte Markus Kerber von der TU Berlin, einer der zehn geladenen Experten. Der ESM könne erst präventiv wirksam werden, wenn auch der Fiskalpakt ratifiziert worden sei und wenn die Mitgliedsstaaten eine entsprechende Schuldenbremse in ihre Verfassung eingebaut hätten. Der ESM werde erst in absehbarer Zeit in Kraft treten. Zudem führe er auf EU-Ebene zu wesentlichen Änderungen des Gefüges der Währungsunion und könnte somit auch Gegenstand des EuGH werden.

Positiv sei, dass der ESM EU-rechtlich verankert und eine internationale Finanzinstitution wie der IWF sei, so Fritz Breuss vom Wifo. Wichtig sei, dass der ESM mit Fiskalpakt und dem "Six-Pack" direkt verzahnt sei. Breuss bemängelte Unklarheiten bei den Sanktionen und bei Einzahlungen in Sonderfällen, etwa wenn einzelne Länder nicht zahlten. Auch sei ein Austritt aus dem ESM nicht vorgesehen.

Kein Geld herschenken

Benötigt werden in der Eurozone ein Liquiditätsmechanismus, der kein Geld herschenke, aber den mit Liquiditätsproblemen konfrontierten Staaten kurzfristig Mittel bereitstellen könne, und dabei auf strikte Bedingungen, Sanktionen und Auflagen achte, betonte der Klagenfurter Volkswirtschaftler Gottfried Haber. Der ESM selbst sei kein Garant für Stabilität und mache nur im Zusammenhang mit dem Fiskalpakt Sinn. "Die Größe sollte so sein, dass er hoffentlich gar nicht benötigt wird, weil er glaubwürdig ist." Negativ merkte Haber an, dass mit dem ESM auch gewisse Souveränitätsrechte auf nationaler Ebene diskutiert werden müssten.

Zweite Sowjetunion

Der deutsche Euro-Kritiker Wilhelm Hankel warnte davor, dass sich Europa jetzt in Richtung einer zweiten Sowjetunion entwickle, was von mehreren Abgeordneten scharf zurückgewiesen wurde. Nach Meinung von Hankel sei das Ideal des stabilen Geldes mit eine Währungsunion nicht zu machen. "Eine nationale Prosperitätspolitik ist ohne eigene Währung und Geldpolitik nicht machbar." Der Euro sei eine "verlorene Währung", so Hankel.

Der ESM greife in demokratische Grundrechte ein, kritisierte Barbara Kolm vom Hajek-Institut. Es drohe eine Umverteilung zu Lasten der zahlenden Länder. Transferzahlungen würden die Krise aber nur verstärken. "Es werden keine schmerzhaften und nötigen Reformen umgesetzt." Der Verlust von Triple-A-Ratings würde drohen. Der Weg zur Transfer-und Inflationsunion werde geöffnet.

Fehlende Alternativen

Fehlende Alternativen zum ESM ortete der Leiter der OeNB-Volkswirtschaft, Peter Mooslechner, bei den Euro-kritischen Experten. Probleme werde es immer wieder geben, kein Instrumentarium dafür zu haben, wäre aber fahrlässig. Dass Hilfe nur unter strikten Bedingungen gewährt werde, sei ein wichtiges Element. "Der ESM bringt europäische Verantwortlichkeit", so Mooslechner. Für kleine Länder wie Österreich sei es immer ein Vorteil, wenn es europäische Lösungen gebe.

Verfassungsexperte Michael Potacs von der WU Wien bezeichnete die österreichische Lösung mit der engen Koppelung an das Parlament als "Musterbeispiel" für die "Sicherung der österreichischen Souveränität im internationalen Kontext".

Volkswirtschaftsprofessor Bernd-Thomas Ramb warnte davor, dass durch die ESM-Verpflichtungen auf Österreich theoretisch 386 Mrd. Euro zusätzliche Schulden zukommen könnten. Die 700 Mrd. Euro-Risikobegrenzung des ESM hält er für eine "Illusion".

Weglegung des Euro

Die Aufrechterhaltung des Währungssystems sei aus wirtschaftspolitischer Sicht prinzipiell günstiger, weil damit eine Förderung der Stabilität für die Wirtschaft verbunden sei, meinte Volkswirtschaftler Peter Rosner von der Uni Wien. Naiv sei es dagegen, zu glauben, dass die Weglegung des Euro glatt über die Bühne gehen würde. Der Nutzen des ESM sei ein möglicher Stabilitätsgewinn. "Die Hoffnung, dass damit alle Probleme gelöst werden, ist ein Wunsch an das Christkind." Wichtig sei, dass die EU hinter dem Euro stehe, dass müsse klar gemacht werden.

Die Währungsunion müsse noch einige Schritte machen, um vollständig handlungsfähig zu werden, meinte Ulrich Schuh vom industrienahen Forschungsinstitut EcoAustria. Der ESM sei ein Baustein dazu. "Er ist wie ein Löschwagen der Feuerwehr", so Schuh. Wichtig sei makroökonomische Stabilität, gerade für ein kleines Land wie Österreich, das vom Export lebe. "Wir sollten alles tun, das zu unterstützen." Mit dem ESM sei nicht alles getan, er leiste aber einen Beitrag zum Wiederaufbau, zur Schaffung von Arbeitsplätzen.

FPÖ-Chef bleibt bei Volksabstimmung

FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache plädierte erneut für eine Volksabstimmung über den ESM. Den ESM-Vertrag hält Strache für "sittenwidrig". SPÖ-Abgeordneter Josef Cap meinte, es werde bei wirklichen Eingriffen in die Souveränität Österreichs selbstverständlich eine Volksabstimmung darüber geben. Jetzt aber noch nicht.

BZÖ-Chef Josef Buchner warnte davor, jetzt aus Europa einen "sozialistischen Zentralstaat" zu machen und sieht den Beginn einer Transferunion. Das sei nicht im Sinne der Bevölkerung. Es sollte über ein Exit-Szenario nachgedacht werden. Sein Vorschlag: Zum Euro eine Parallelwährung für die starken europäischen Volkswirtschaften einführen.

Der ESM sei nicht die alleinige Lösung aller Probleme, aber ein wichtiger Baustein für eine erfolgreiche Zukunftsstrategie, die auf Budgetkonsolidierung, Strukturreform und Impulse für Beschäftigung und Wachstum setze, so der ÖVP-Abgeordnete Günter Stummvoll. Viele ökonomische Probleme - Spekulationsbekämpfung, Regulierungen, Vorgehen gegen ganz große Akteure auf den Finanzmärkten - könnten auch in Europa nur mehr mit einer tiefen Integration gelöst werden, meinte Werner Kogler von den Grünen. (APA, 28.6.2012)