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Fernando Lugo: "Ich gehöre nicht der traditionellen politischen Klasse an. Mein Führungsstil ist anders. Das war mein Fehler."

Foto: AP/Saenz

STANDARD: Wer steckt hinter Ihrer Absetzung, was sind die Gründe?

Lugo: Die wahren Gründe werden verschwiegen. Das war kein Staatsstreich gegen Fernando Lugo, sondern ein Angriff auf die Demokratie und auf die Armen und Vergessenen, die an diesem demokratischen Prozess beteiligt waren. Es war ein Staatsstreich gegen die Sozialhilfeempfänger und gegen die Rentner, die erstmals in der Geschichte des Landes staatliche Unterstützung bekamen. Es war ein Frontalangriff auf die staatliche Sozialpolitik.

STANDARD: Und die Landfrage?

Lugo: Das ist ein uraltes Problem in Paraguay. Als wir gewählt wurden, wollten wir eine wirkliche Agrarreform umsetzen. Teil davon war die Erstellung eines Landkatasters, der in Paraguay nicht existiert. Paraguay hat 406.752 Quadratkilometer Fläche, doch Landtitel haben wir auf 529.000 Quadratkilometer. Manche Ländereien haben bis zu vier Eigentümer. So etwas muss natürlich bereinigt werden. Das ist aber problematisch, denn es steht nicht der Exekutive zu, sondern der Justiz.

STANDARD: Im ersten Moment haben Sie sich nicht gegen die Amtsenthebung gewehrt. Erst später sprachen Sie von einem Staatsstreich und haben die Bevölkerung zu Widerstand aufgerufen. Wieso dieser Schwenk?

Lugo: Ich bin zutiefst friedfertig und gegen Gewalt, egal von welcher Seite sie ausgeht. Und um Blutvergießen zu vermeiden, habe ich mich dem Amtsenthebungsverfahren gebeugt, auch wenn es ungerecht war. Aber Leben zu retten ist wichtiger. Die Menschen waren bereit, sich zu opfern, wie damals im März 1999, als acht Jugendliche bei Protesten starben. Ich kann nicht erlauben, dass sich so etwas wiederholt.

STANDARD: Aber nun haben Sie zu Protesten aufgerufen ...

Lugo: Ja, zu friedlichen. Alle Bürger haben ein Recht zu demonstrieren, ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen. Derzeit finden in diversen Provinzen Demonstrationen statt. Aber immer friedliche. Ich würde niemals Menschen gewaltsam aufeinanderhetzen.

STANDARD: Haben Sie das mit Ihren Verbündeten, mit Venezuelas Präsident Hugo Chávez oder mit der brasilianischen Staatschefin Dilma Rousseff abgesprochen ?

Lugo: Nein, ich weiß sehr gut selbst, was zu tun ist.

STANDARD: Wo haben Sie vielleicht Fehler gemacht, was würden Sie anders tun?

Lugo: Ich bin ein Außenseiter. Ich gehöre nicht der traditionellen politischen Klasse an. Mein Führungsstil, meine Art, Politik zu machen, sind anders. Das war mein Fehler, oder besser gesagt, mein Unterschied zu den Traditionspolitikern, die mich am vergangenen Freitag deshalb politisch abgestraft haben.

STANDARD: Wo sehen Sie Ihr Land in fünf oder zehn Jahren?

Lugo: Ich bin ein Idealist. Paraguay ist ein Land mit großem Potenzial, aber ob es genutzt wird, hängt von den Politikern ab. Im Vorjahr ist unsere Wirtschaft um 15,3 Prozent gewachsen und lag weltweit damit nur hinter Katar. Denn wir haben von den Deutschen gelernt: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Nur durch Arbeit kann eine Gesellschaft vorankommen. Es gibt keine bessere Strategie des sozialen Wandels. Paraguay muss Investoren Rechtssicherheit bieten und Glaubwürdigkeit, nicht das Spektakel eines Staatsstreichs.

STANDARD: Sie waren Bischof, doch die Kirche war nie sonderlich erfreut über Ihre politische Betätigung. Der Päpstliche Nuntius war einer der ersten, die dem neuen Präsidenten gratulierten. Kann die Kirche beitragen zur Festigung der Demokratie, und wenn ja, wie?

Lugo: Durch die Basis, nicht von der Hierarchie ausgehend. Von der Volkskirche, wie sie im Zweiten Vatikanischen Konzil genannt wird. Diese Volkskirche ist es, die jetzt aufbegehrt. Einige Priester im Süden des Landes haben sich öffentlich gegen den Staatsstreich ausgesprochen. Das ist außergewöhnlich in diesem Land. (Sandra Weiss, DER STANDARD, 29.6.2012)