Homoerotik kommt in heimischen TV-Serien kaum vor.

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Wolfgang Murnberger.

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Heinrich Mis.

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Uli Bree.

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Wien - Sie schmusen in "Grey's Anatomy", herzen und küssen sich in "Desperate Housewives", schaukeln Babys in "Modern Family", leiden unter Liebeskummer in "Nurse Jackie". Sie streiten um Erziehungsaufgaben in "The Wire" und suchen dauerhaft ihre sexuelle Orientierung in "Rescue Me".

Schwule und lesbische Figuren sind im Alltag der amerikanischen Serienwelt angekommen. Tagtäglich bevölkern sie das Hauptabendprogramm der großen TV-Stationen. Und während in den 1990er-Jahren das Serienouting von Ellen de Generes die Medienöffentlichkeit wochenlang in Aufruhr versetzte und Familienvereine um die guten Sitten bangten, juckt heute die ständig wachsende homosexuelle Beteiligung am Fernsehgeschehen kaum noch jemanden.

In Deutschland wollen Jugendserien wie "Gute Zeiten, schlechte Zeiten", "Verbotene Liebe", "Hand aufs Herz" und "Marienhof" nicht auf schwule Liebe verzichten. Kaum vorstellbar, dass ein Kuss unter Männern in der "Lindenstraße" einst Morddrohungen zur Folge hatte. Neuerdings berät sich Katharina Böhm als Die Chefin mit einer lesbischen Pathologin im Hauptabend. Alles ganz normal.

Und Österreich?

Conchita Wurst rüttelte das weitgehend auf Heteros eingestimmte TV-Publikum kurzzeitig aus dem Dauerschlaf. Anders als in comichafter Verkleidung dringt Homochic allerdings kaum durch.

Warum Schwule und Lesben sich im prüden Amerika zuhauf tummeln, in Österreichs Fernsehwelten aber so gut wie unsichtbar sind, wollte der STANDARD von Filmschaffenden wissen. Ein Rundruf.

Wolfgang Murnberger hält aus praktischen Gründen Abstand: "Als Regisseur schreckt man sich ja erst, wenn im Drehbuch in einer Nebenrolle ein Homosexueller auftaucht." Murnberger (Brüder, Live Is Life) rechnet mit Klischee- fallen. Das Problem mit der Quote verdeutlicht er am Beispiel Der schwarze Löwe über einen schwarzafrikanischen Fußballer in Niederösterreich: "Wir haben in den ersten Minuten 100.000 Zuseher verloren." Seine eigene Lesbenkomödie Ach Baby ein Baby aus dem Jahr 1999 nennt er "meinen kommerziellen Sündenfall".

Heinrich Mis, ORF-Spielfilmchef, führt just diesen Film als positiven Beweis an, wonach "Heteronormativität" am Küniglberg gelebt werde. Zudem: "Alle Serien von Soko Kitz, Soko Donau, Schnell ermittelt hatten und haben ihre schwulen und lesbischen Episoden-Hauptdarsteller und werden es weiter haben", sagt Mis. "Mir persönlich wäre ein besonderes Hinlenken à la ,Holla, aufgepasst, der ORF ist ganz super und macht einen besonders schwulen Tatort, geradezu peinlich." Mis verweist auf künftige Vorhaben: Mediator Paul Kemp hat mit einer Geschlechtsumwandlung zu tun, lesbische Annäherung gibt es bei Lilly Schönauer und Comedy mit Manuel Rubey und Thomas Stipsics als schwulem Paar.

Oliver Auspitz, Produzent der MR Film (Schnell ermittelt): Es gibt das Thema immer wieder, es wird weder forciert noch abgelehnt." Auspitz wartet jedenfalls auf das "erste gute Drehbuch, wo die Geschichte einfach stimmt". Derzeit käme von Autoren wenig: "Im Jahr 2012 muss es einfach so behandelt werden, dass es gleichwertig und ganz normal ist."

Uli Bree glaubt, "dass die Sender ein Problem damit haben, wenn man die Hauptfigur lesbisch oder schwul macht". Der ORF sperre sich aber nicht, so die Erfahrung des Drehbuchautors (Vier Frauen und ein Todesfall): " Wenn es stimmig ist und nicht platt oder kalkulierend. Die öffentlich-rechtlichen Deutschen sind da eher brav", sagt Bree.

Eva Rossmann, Journalistin, Moderatorin und Autorin, hält Fernsehen für " erschreckend bieder und an klassischen Familienmodellen orientiert. Vieles, was anecken könnte, wird im Zuge der Entwicklung von Filmen und Serien eliminiert. DrehbuchautorInnen haben häufig bei Fernsehproduktionen den Status von LohnschreiberInnen, und wer zahlt, schafft an."

Robert Buchschwenter, Drehbuchautor und Oktoskop-Moderator, sieht das Fehlen schwul-lesbischer Protagonisten in einer österreichischen Grundhaltung begründet: "Genauso wie gebildete Schichten in der breiten Öffentlichkeit abgelehnt werden, werden schwul-lesbische Phänomene nicht wahrgenommen."

Sabine Derflinger sieht Österreich "konservativ und rückwärtsgewandt". Derflinger: "Wenn ich als Regisseurin fürs Fernsehen Drehbücher bekomme, ist eine meiner ersten Taten, die Frauenfiguren in Schwung zu bringen und sie von Klischees zu befreien." Dass Schwule und Lesben unsichtbar bleiben, wundert Derflinger nicht: "Weil das eine Gesellschaft, die sich mit traditionellen Rollenbildern sicher fühlt, verunsichert. Und Verunsicherung soll im TV nicht stattfinden." Derflinger (Paul Kemp) verspricht: "Ich werde schauen, dass ich meinen Beitrag dazu leisten kann, vielleicht im nächsten Tatort." (Doris Priesching, DER STANDARD, 30.6./1.7.2012)