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Deutschlands Innenminister Hans-Peter Friedrich will den Verfassungsschutz genau unter die Lupe nehmen.

Foto: EPA/Kahnert

Berlin - Der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich hat eine grundsätzliche Überprüfung der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes angekündigt. Man müsse prüfen, ob Aufbau und Arbeitsweise noch zeitgemäß seien, sagte der CSU-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk. Die Versäumnisse des Inlandsnachrichtendienstes bei den Ermittlungen der Neonazi-Mordserie müssten aufgeklärt werden. Der Deutsche Bundestag wird sich ab dem morgigen Mittwoch mit der umstrittenen Vernichtung von Akten beim Inlandsgeheimdienst befassen, wie der Vorsitzende des Untersuchungsausschusses zur Neonazi-Mordserie, Sebastian Edathy ankündigte.

Vor allem die Vernichtung der Akten hätten das Vertrauen der Abgeordneten und der Öffentlichkeit in die Behörde erschüttert, so Innenminister Friedrich. "Es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren. Deswegen muss es da auch Konsequenzen geben", sagte der Minister.

Fromm im vorzeitigen Ruhestand

Vergangene Woche war bekanntgeworden, dass der Verfassungsschutz unmittelbar nach Aufdeckung der Neonazi-Mordserie im November Akten zum Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene vernichtet hatte. Zudem soll der Inlandsgeheimdienst vom italienischen Staatsschutz bereits 2003 Hinweise auf die mögliche Existenz von Terrorzellen erhalten haben. Als Konsequenz daraus hatte der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, am Montag um seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand ersucht. Er wird Ende Juli sein Amt als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz niederlegen.

Der rechtsextremistische Hintergrund der Morde war erst nach zehn Jahren und durch Zufall bekanntgeworden, als nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Anfang November in der Wohnung des Zwickauer Trios die Tatwaffen und ein Bekenner-Video gefunden wurden. Beate Zschäpe, die ebenfalls dem Trio angehörte, stellte sich der Polizei. Die jahrelang unentdeckt gebliebene Zwickauer Terrorzelle NSU ("Nationalsozialistischer Untergrund") soll für die Morde an neun Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft sowie an einer Polizistin, zwei Sprengstoffanschläge in Köln und eine Serie von Überfällen auf Geldinstitute verantwortlich sein.

Den Abgeordneten im U-Ausschuss stünden am Mittwoch die restlichen Akten zur fraglichen "Operation Rennsteig" in der Berliner Außenstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz ungeschwärzt zur Verfügung, sagte Edathy. Dabei ging es um die Beobachtung der Thüringer Neonazi-Szene durch V-Leute. Möglicherweise haben sich dabei bereits Hinweise auf die Urheber der Mordserie ergeben.

Zeitdruck im Parlament

Mehrere Abgeordnete wollen sich die Akten ansehen. Der Zeitdruck ist hoch. Denn am Donnerstag wird nicht nur Fromm vor dem Ausschuss aussagen. Erscheinen soll auch der Beamte, der die Aktenvernichtung angeordnet habe, wie der Ausschuss am Dienstag beschloss. "Wir müssen sehen, ob etwas vertuscht werden sollte", sagte SPD-Obfrau Eva Högl.

Weil Inhalte der vernichteten Akten zum Einsatz von V-Leuten in Thüringen auch in die noch bestehenden Akten eingeflossen seien, könne die nun geplante Akteneinsicht zur Aufklärung beitragen, sagte Grünen-Obmann Wolfgang Wieland. Ihm mache aber große Sorgen, dass die Datei wohl nicht vollständig geführt worden sei. Insofern sei nicht klar, ob die Kernfrage beantwortet werden könne, "ob die drei der Zwickauer Terrorzelle oder ihr engstes Umfeld irgendwann einmal Vertrauenspersonen waren".

Abgeordnete überlegen rechtliche Schritte

Das FDP-Ausschussmitglied Patrick Kurth schließt angesichts der Aktenvernichtungen durch den Verfassungsschutz rechtliche Schritte von Parlamentariern gegen Sicherheitsbehörden nicht aus. "Wir sind nahe an dem Zeitpunkt, zu dem geprüft werden muss, inwiefern die Parlamentarier auch juristisch gegen falsche Aussagen und Vertuschung vorgehen können", sagte Kurth der "Mitteldeutschen Zeitung" (Mittwoch-Ausgabe).

Im Sender ARD warf Edathy dem beteiligten Militärischen Abschirmdienst (MAD) Behinderung bei der Aufklärung vor. Der MAD weigere sich, dem U-Ausschuss Akten zukommen zu lassen. (APA, 3.7.2012)