Major Jan im Kreise von amerikanischen Offizieren und Unteroffizieren.

Foto: Gady
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Kowti Kheyl! Seit meiner Ankunft wird mir von dem Ort erzählt. Es ist die Zufluchtsstätte der Taliban in der Region. Hier im Basar des Dorfes sollen sie frei und zwanglos herumspazieren, einkaufen, sich verarzten lassen und Recht sprechen. Mohammed Jan, Kommandant des kleinen afghanischen Außenpostens Kolagu in der Nähe, soll mit seinen Männern und zwei amerikanischen Platoons die ortsansässigen Taliban vertreiben. Das letzte Mal wurde der Platoon unter Lt. Saylor, dem ich mich diesmal angeschlossen habe, in einen Hinterhalt gelockt und ein Übersetzer angeschossen. Aus diesem Grund durfte ich erst nach der Intervention von Staff Sergeant Flanagan den Platoon begleiten. Der junge Leutnant wollte keine Verantwortung für mich übernehmen.

Zur Abwechslung sah ich eine afghanische Kompanie, die bestens ausgebildet war und geführt wurde. Die Männer blieben in Formation, es gab keinen Stau, als wir im Konvoi zum Absetzpunkt fuhren, und die Soldaten hielten nicht an jedem Bauernhof, um Brot oder Chai zu verlangen. Gefechtsmäßig überquerten die Afghanen die offenen Weizenfelder vor Kowti Kheyl und sicherten die Flanken des anrollenden amerikanischen Konvois.

Weiter zu Fuß

Plötzlich gab es einen lauten Knall, das erste Fahrzeug der "Route Clearance Patrol" (Minenräumdienst) fuhr auf eine Sprengladung. Der Fahrer wurde verwundet und musste mit einem Black Hawk evakuiert werden. Eine weitere Sprengladung wurde zum Glück noch rechtzeitig entdeckt. Für die Amerikaner und mich hieß es, einen Kilometer vor dem Absetzpunkt nun zu Fuß weiterzumarschieren.

Zwei Apache-Helikopter konnten den "Trigger Man" - den Mann, der die Detonation ausgelöst hatte - lokalisieren. Ich konnte die Konversation mithören, da ich auch ein Funkgerät bei mir trug. Er lief von Bauernhaus zu Bauernhaus, wurde aber überall schnell wieder hinausgeworfen, da die Bewohner laut Staff Sergeant Flanagan Angst hatten, als Komplizen zu gelten. Der Bombenleger verschwand im Tumult des Basars von Kowti Kheyl. 

Blanke Nerven

"We are not taking any chances today!", meinte ein Soldat zu mir und zeigte auf ein Flugzeug am Himmel. Ein Kampfjet vom Typ A-10 Warthog Tank Killer raste im Sturzflug zu Scheinangriffen auf Kowti Khey hinab. Die Absicht dieses Manövers: die Taliban aus dem Dorf zu vertreiben und jeden Hinterhalt aufzulösen. Dieser Vorgang wiederholte sich vier- oder fünfmal. Mit der Unterstützung der Apache-Hubschrauber und durch die exzellente Flankensicherung der afghanischen Armee stellten sich keine Aufständischen an diesem Tag zum Kampf. Bis auf ein paar Granateneinschläge ein paar hundert Meter entfernt passierte nichts. Die Amerikaner kamen zum Basar: Er war wie leergefegt. Keine Spur von den Taliban oder dem Bombenleger.

Während die mir bereits so bekannte Routine (alle männlichen Einwohner im kampffähigen Alter wurden "gehiidet", während ein Teil des Zuges das Dorf sicherte und die afghanische Armee die Häuser durchsuchte) sprach ich mit dem ortsansässigen Apotheker Mohammed Anwir. Seine Frau, eine Gynäkologin, betrieb in dem Dorf eine Praxis, sie starb jedoch vor einem Jahr - unter welchen Umständen, wollte er mir nicht mitteilen. "Die Taliban marschieren mit ihren Waffen hier täglich frei herum. Sie nehmen uns Medikamente und Lebensmittel ab. Nur manchmal bezahlen sie auch dafür", beschwerte er sich. Ich fragte ihn, was er denn von den Taliban halte. Er ging dieser Frage aus dem Weg erzählte stattdessen: "Die Taliban kamen zu unseren Dorfältesten und befahlen uns, keine Mädchen mehr in die Schule zu schicken. Unsere Alten meinten aber, dass sie das nicht tun würden, denn Afghanistan braucht auch weibliche Ärzte."

Taliban auf der Flucht

Durch einen Informanten fanden die Amerikaner heraus, dass alle Taliban des Dorfes schon vor den Scheinangriffen der A-10 Warthog auf Motorrädern Richtung Norden geflohen seien. Sie nutzten die Zeit, als die Apaches für 20 Minuten zum Nachtanken abdrehen mussten, um zu entkommen. Als wir zum afghanischen Gefechtsaußenposten Kolagu zurückkehrten, war mir nicht klar, was ich von der Mission halten sollte. Ich musste an die enormen Ressourcen denken (zwei bis drei Hubschrauber, mehr als ein Dutzend gepanzerte Fahrzeuge und über hundert Soldaten), die gebraucht wurden, nur um eine paar Männer mit Kalaschnikows aus einem kleinen Dorf zu vertreiben. Wer war nun in diesem Spiel der asymmetrischen Kriegsführung der wirkliche Sieger? Die Aufständischen, wie wir am Abend über die Taliban-Funkfrequenzen erfuhren, kehrten drei Stunden nach unserem Aufbruch nach Kowti Kheyl zurück. (Franz-Stefan Gady, derStandard.at, 4.7.2012)