Fürsprecherin eines "sozialdemokratischen Maternalismus"? Ministerin Heinisch-Hosek bei einer Aktion der SPÖ-Frauen anlässlich des Internationalen Frauentags am Wiener Heldenplatz.

Foto: Standard/Fohringer

Sehr geehrte Frau Ministerin! Ihr Widerstand und der Ihres Ministeriums gegen den Vorschlag der Justizministerin nach der Einführung einer automatischen gemeinsamen Obsorge ist ein Glücksfall. Er zeigt exemplarisch, dass die Vertretung von Fraueninteressen und Gleichstellungsinteressen im Prinzip unvereinbar ist (ebenso wie Männerinteressen und Gleichstellungsinteressen). Es sei denn, man würde Fraueninteressen als Allgemeininteressen setzen. Im Laufe der Sozialgeschichte ist es ja immer wieder vorgekommen, dass Vertreter von Partialinteressen als Vertreter von Allgemeininteressen aufgetreten sind.

Der Frauenbewegung und -politik ist es zu verdanken, dass Frauen in traditionellen männlichen Domänen wie Wirtschaft, Medien und Politik einen höheren Stellenwert erlangten. In vielen Bereichen ist man von einer Gleichstellung noch weit entfernt, doch in manchen wie etwa der Bildung ist das Ziel erreicht: Junge Frauen verfügen über eine höhere Bildung als junge Männer.

Wenn wir uns nun jenem Bereich zuwenden, in dem Frauen dominieren (und den ich seit einigen Jahren intensiv beforsche), dem Bereich der Kindererziehung, dann zeigt sich folgendes Bild: Hier dominieren die Erziehungsvorstellungen und Normen von Frauen, sowohl in den Familien als auch in den Kindergärten. Die "Feminisierung der Erziehung" wurde seitens der Frauenbewegung und -politik nun weitaus seltener - wenn überhaupt - kritisch hinterfragt. Beispielsweise kommen in dem vom Frauenministerium herausgegebenen "Aktionsplan zur Gleichstellung von Frauen und Männern am Arbeitsmarkt" (2010) Männer nur am Rande vor, Maßnahmenvorschläge zur Erhöhung des Männeranteils in den Kindergärten und Bildungseinrichtungen fehlen vollständig.

Die Vertretung (vermeintlicher) Fraueninteressen kommt häufig im Gewande der Gleichstellung daher. Häufig ist eine an Männer adressierte "Verpflichtungsrhetorik" enthalten: Wenn Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, von der väterlichen Beteiligung bei der Kindererziehung sprechen, ist fast immer von "Verpflichtung" die Rede. Ich glaube nicht, dass dies förderlich für eine höhere Beteiligung von Männern an der Kindererziehung ist. Stellen Sie sich vor, dass umgekehrt, wenn es um eine erhöhte Erwerbsbeteilung von Müttern ginge, von der "Pflicht" die Rede wäre, zur Hälfte des Familieneinkommen beizutragen, etwa durch die "richtige" Berufswahl.

Ein anderes Beispiel ist einem Artikel im STANDARD vom 27. Juni 2012 zu entnehmen, in dem Sie sinngemäß meinen, dass sich Väter für eine gemeinsame Obsorge "erst bewähren" müssten. Man stelle sich vor, dass umgekehrt die gleichen Rechte für Frauen auf Teilhabe am Erwerbsleben beeinsprucht werden mit dem Argument, sie müssten sich erst im Erwerbsleben bewähren. Meiner Überzeugung und Erfahrung nach macht es Freude, sowohl an der Obsorge als auch am Erwerbsleben beteiligt zu sein. Die meisten Paare - das zeigt uns die Familienforschung - sind zufrieden mit ihrer Verteilung von Erwerbs- und Familienarbeit.

In der österreichischen Gleichstellungspolitik und auch in der öffentlichen Diktion ist meiner Ansicht nach ein Paradigmenwechsel erforderlich: Um die Balance nicht noch weiter zu verlieren, wäre eine Reorganisation des Ministeriums mit einem eindeutigen Fokus auf Geschlechtergleichstellung nötig. Dazu würde neben der Frauenförderung eine gleichwertige Förderung von Männern gehören. Etwa in jenen Bereichen, die gegenwärtig von Frauen dominiert werden (Geschlechterforschung, familiäre Kindererziehung, Kindergärten).

In der Erziehungswissenschaft ist man sich weitgehend einig, dass Männer einen förderlichen Beitrag für die Entwicklung von Kindern leisten können. Kindererziehung wird gelernt, "on the job", man kann nicht sagen, dass Frauen - außer beim Stillen - besser dafür geeignet wären. Oder doch? Ich habe den Eindruck, dass Sie - anders als Ihre jüngere Kollegin vom Justizministerium - irgendwie doch der Meinung sind, dass Frauen das besser können. Oder anders gesagt: dass Frauen nach wie vor von der Frauenministerin für die Kinderbetreuung zuständig gemacht werden (sic!). Insofern scheint der in Österreich ausgeprägte Maternalismus (OECD 2006) auch im sozialdemokratischen Milieu zu finden zu sein. Anders als etwa in skandinavischen Ländern oder in Deutschland, wo die automatische gemeinsame Obsorge schon längst etabliert ist.

Gegen eine automatische gemeinsame Obsorge wird übrigens oft eingewendet, dass man das Kindeswohl im Auge behalten müsse. Selten direkt, aber meist indirekt wird damit väterliche Gewalt gegen Kinder angesprochen. Das Bild des schlagenden Vaters haben viele von uns in den Köpfen. In empirischen Erhebungen kommt der schlagende Vater allerdings nicht öfters vor als die schlagende Mutter. Die Prävalenzstudie des Österreichischen Instituts für Familienforschung, die Gewalt in der Familie untersuchte, kam beispielsweise zum Ergebnis, dass sich die körperlichen Gewalthandlungen durch Väter und Mütter in etwa die Waage hielten. Bei den psychischen Gewalthandlungen, die Frauen in der Kindheit erlebten, war übrigens die eigene Mutter dominierend, die eigenen Väter wurden erst am dritthäufigsten genannt.

Sehr geehrte Frau Ministerin! Ich habe den Eindruck, dass bei Ihrer Ablehnung der automatischen gemeinsamen Obsorge weniger das Kindeswohl im Vordergrund steht als Machtfragen. Dabei wäre eine automatische gemeinsame Obsorge ein positives Signal, dass Väter bei der Sorge um die Kinder willkommen sind. (Bernhard Koch, DER STANDARD, 4.7.2012)