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Frachter im nicaraguanischen Hafen Corinto: bald soll es eine Alternative zum Panamakanal geben

Foto: Reuters/Oswaldo Rivas

Managua - Die Idee faszinierte Abenteurer, Ingenieure und Politiker schon im 19. Jahrhundert. Nun ist sie wieder aktuell: Nicaragua soll einen Kanal bekommen, der Atlantik und Pazifik verbindet. Mit dem Projekt, das Milliarden verschlingen würde, aber noch viel mehr Geld einbringen soll, will die Regierung des zentralamerikanischen Landes dem Panama-Kanal Konkurrenz machen. Das Parlament stimmte dem Vorhaben am Dienstag mit großer Mehrheit zu. Kritiker halten das Vorhaben aber für unrealistisch - und werfen der Regierung vor, nur von der Armut im Land ablenken zu wollen.

Für das Vorhaben, die zwei Weltmeere durch eine Wasserstraße zu verbinden, bietet Nicaragua günstige geografische Voraussetzungen. Schon während des kalifornischen Goldrauschs zur Mitte des 19. Jahrhunderts verlief durch das Land eine der wichtigsten Routen von der Ost- zur Westküste der USA, da sich der zentralamerikanische Isthmus dort großteils auf natürlichen Wasserwegen - dem Fluss San Juan und dem Nicaragua-See - durchqueren ließ.

Schon früh kam in den USA auch die Idee eines Kanals durch Nicaragua auf - doch  schließlich schafften es Investoren in das Panama-Projekt, den US-Kongress von ihrem Ansinnen zu überzeugen, indem sie das Gerücht verbreiteten, der Momotombo-Vulkan sei ausgebrochen und gefährde die Schifffahrt in Nicaragua. Als Beweis legten sie eine nicaraguanische Briefmarkenserie vor, die den rauchenden Vulkan zeigt.

Franzosen scheiterten

Nachdem die Franzosen mit ihrem Kanalbau-Projekt in Panama dramatisch gescheitert waren, verfolgten die USA den Bau später weiter. 1914 eröffneten sie den Kanal, den sie bis 1999 kontrollierten. Dann übergaben sie die Kontrolle an Panama. Durch den Kanal fließen derzeit rund fünf Prozent des Welthandels. Er erspart den Schiffen den langen und mühsamen Umweg um das Kap Hoorn an der Südspitze Südamerikas. Seit Panama den Kanal selbst verwaltet, bescherte er dem Land jährliche Einnahmen von einer Milliarde Dollar (aktuell rund 792 Millionen Euro).

Diese Zahl ist verlockend für das bitterarme Nicaragua. Deshalb schreckt die Regierung auch nicht vor den Rieseninvestitionen zurück, die sie mit 30 Milliarden Dollar angibt. Fließen sollen die Milliarden teils vom Staat, teils von privaten Geldgebern: Bisher hätten Unternehmen aus Brasilien, China, Japan, Russland, Südkorea und Venezuela Interesse angemeldet, versichert die Regierung. Der nicaraguanische Staat selbst will 51 Prozent am Kanal halten. Geprüft werden sollen nun zunächst sechs mögliche Strecken für die 200 Kilometer lange Wasserstraße, fertig sein soll sie in zehn Jahren.

Breiter und tiefer als der Panama-Kanal

Die Linksregierung von Präsident Daniel Ortega sieht Bedarf für den Kanal. Der Welthandel werde weiter wachsen, zudem soll die neue Wasserstraße breiter und tiefer als der Panama-Kanal werden - der derzeit selbst vergrößert wird. "Diese Initiative ist der Gipfelpunkt eines historischen Bestrebens Nicaraguas, von seiner geografischen Lage zu profitieren", sagt Jaime Incer, Umweltexperte im Präsidialamt.

Der frühere Parlamentsabgeordnete José Pallais teilt die Euphorie nicht. "Es ist schwer vorstellbar, dass das Projekt in den kommenden Jahren angegangen wird", sagt er. "Europa ist in der Rezession, Japan auch. Chinas Wirtschaft wächst langsamer, und Russland geht es wirtschaftlich schlecht." Der Kanal sei bisher nur "ein Traum".

Schwierige Finanzierung

Der Analyst Carlos Tünnermann kann sich allenfalls ein Engagement Chinas vorstellen. Doch derzeit habe die Volksrepublik seines Erachtens kein Interesse an Großinvestitionen in Nicaragua. Das Kanalprojekt sei eine "Illusion", sagt Tünnermann - und solle vor allem von der Misere in Nicaragua ablenken, wo die Hälfte der 5,8 Millionen Bewohner in Armut lebt.

Aber nicht nur die Finanzierung dürfte schwierig sein - auch Grenzkonflikte könnten das Projekt behindern. Eine der anvisierten Routen würde den Río San Juan nutzen. Der Fluss bildet einen Großteil der Grenze zu Costa Rica, einige Insekln im Mündungsbereich sind schon seit einem Jahrhundert umstritten ist. So forderte Costa Rica nach Bekanntwerden der Kanalpläne auch umgehend Erklärungen von Nicaragua.

Panama wiederum sorgt sich angeblich nicht wegen der möglichen neuen Konkurrenz: "Wir sind nicht beunruhigt, wir sind konkurrenzfähig", sagt der dortige Kanal-Chef Alberto Alemán. Zudem sei "jedes Infrastrukturprojekt in der Region positiv". (APA, 4.7.2012)