Der arktische Sommer beginnt Mitte Juni. Seit 1979 hat das Meereis bereits drei Viertel seines Volumens verloren.

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Was globale Konzerne hellhörig macht: Unterhalb des Eises im nördlichen Polargebiet sollen bis zu 90 Milliarden Fass Öl (je 159 Liter) lagern.

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Wien/Nuuk - Die Eisdicke in der Arktis nimmt Jahr für Jahr ab, Eisflächen schmelzen dramatisch schnell. 2010 wurde von Wissenschaftern der Universität Washington das kleinste je gemessene Eisvolumen registriert. Während Umweltorganisationen und Forscher vor den unmittelbaren Folgen des Temperaturanstiegs im nördlichen Polargebiet warnen, reiben sich Öl- und Gaskonzerne die Hände.

Bis zu 90 Milliarden Fass Öl (je 159 Liter) sollen unterhalb des Eises im nördlichen Polargebiet lagern. Eine Menge, die den derzeitigen Weltverbrauch für rund drei Jahre decken könnte. Bisher galt der Rohstoff unter meterdickem Eis als unförderbar. Seit aber dank Klimawandels immer größere Meeresflächen im arktischen Sommer frei werden, hat ein kommerzielles Wettrennen hinauf in den hohen Norden eingesetzt.

Riskante Ölbohrungen

Der russische Ölgigant Rosneft sucht in Kooperation mit dem US-Unternehmen Exxon sowie der italienischen Eni in der arktischen Kara-See nach den gut versteckten fossilen Brennstoffen. Der britisch-niederländische Weltkonzern Royal Dutch Shell hat ebenfalls eine Genehmigung in der Tasche, ab 14. Juli werden in der Tschuktschensee nördlich der Behringstraße zwischen Russland und Alaska (siehe Grafik) an fünf Stellen Probebohrungen durchgeführt. Die schottische Ölfirma Cairn Energy leistete schon 2010 Pionierarbeit und bohrte als erstes Unternehmen vor der Küste Grönlands. Seither sind die wichtigen Player im internationalen Ölbusiness in Warteposition.

Die Ölbohrungen und ihre nicht kalkulierbaren Risiken sind nur eine der Bedrohungen für das sensible Ökosystem in der Arktis. Seit 1979 hat das Meereis nach Messungen des Polar Science Center in Washington drei Viertel seines Volumens verloren. "Die Arktis ist der Kühlschrank der Erde", sagt Karin Scholz von der Umweltorganisation Greenpeace. "Wird er ausgeschaltet, erhitzt sich die Luft schneller."

Ökologischer Teufelskreis

Während helles Eis das Sonnenlicht reflektiert, nimmt dunkles Wasser das Licht zu etwa 94 Prozent auf. Wasser und Luft werden wärmer, was noch mehr Eis zum Schmelzen bringt - die Eis-Albedo-Rückkopplung. Das in der Arktis gut verborgene Öl und Gas wird zudem nach erfolgreicher Förderung wirtschaftlich genützt, das ausgestoßene CO2 heizt den Treibhauseffekt weiter an und erwärmt die Atmosphäre. "Ein Teufelskreislauf", sagt Scholz.

Schätzten Experten noch vor wenigen Jahren, dass die Arktis in rund 100 Jahren eisfrei sein könnte, mussten die Prognosen drastisch nach unten revidiert werden. Peter Waldhams von der University of Cambridge vermutet, dass es bereits um 2020 den ersten eisfreien arktischen Sommer geben könnte.

Anrainerstaaten in Startposition

Die Anrainerstaaten Russland, USA, Kanada, Dänemark und Norwegen spitzen darauf, ihre Territorien zu erweitern. Anträge sind eingereicht, das Gebiet um den Pol ist - noch - staatenlos. Schließlich gilt es, bei den Bohrungen auch Gewinn herauszuschlagen. Zudem wird auch das Interesse der kommerziellen Fischerei an bisher unerschlossenen üppigen Fischgründen in der Arktis immer größer.

Greenpeace hat zwei Teams auf den Schiffen Esperanza und Arctic Sunrise entsandt, um vor Ort gegen die Probebohrungen zu demonstrieren und auf unkalkulierbare Risiken hinzuweisen. Auch die britische Versicherungsbörse Lloyd's, Herausgeber der Studie "Die Öffnung der Arktis - Möglichkeiten und Risiken", hält das Gefahrenpotenzial von Ölunfällen für zu groß. "Die Arktis kann nicht versichert werden", sagte Konzerndirektor Richard Ward. Lloyd's geht aber davon aus, dass Konzerne in den nächsten zehn Jahren 100 Milliarden Dollar in Bohrungen und in die Errichtung von Infrastruktur investieren werden. Die Forderung der Kampagne von Greenpeace lautet daher, ein UN-Schutzgebiet in der Arktis zu errichten. Scholz: "Das haben wir in der Antarktis auch schon erreicht." (David Krutzler, DER STANDARD, 5.7.2012)