Wie der STANDARD berichtete, hat sich die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton dahingehend geäußert, dass der Iran einen Krieg wolle. Diese Äußerung hat Skepsis und Besorgnis ausgelöst, weil viele sie als psychologische Vorbereitung zu einem Krieg auffassten. Sie hat aber einen ganz realen Bezug zur gegenwärtigen iranischen Staatsdoktrin. Kern dieser Doktrin und der iranischen Verfassung insgesamt ist die Rückkehr des Mahdi, des Erlösers. Was hat es damit auf sich?

Der Erlöser hat einen zentralen Stellenwert in allen semitischen Religionen. Zugrunde liegt die apokalyptische, grundsätzlich pessimistische Sichtweise, nach der die Ungerechtigkeit und Verderbtheit der Welt nur mehr durch einen göttlichen Akt aufzulösen sei. Vollstrecker ist der mit gottähnlichen Vollmachten auf die Welt geschickte Erlöser oder Mahdi.

Im Christentum ist der Erlöser Jesus, der am "Jüngsten Tage" zur Erde zurückkehren wird, um Gericht zu halten. Auch im Koran ist Jesus der Mahdi, aber trotzdem bleibt im sunnitischen Islam die Person des Mahdi recht diffus. Es gab bereits Dutzende sunnitischer Mahdis, der letzte hauchte sein Leben am 21. November 1979 aus, als er in der Überzeugung seiner Unverletzlichkeit eine Handgranate aufhob, die gegen ihn geschleudert worden war.

Der zwölfte Imam ist seit dem Jahr 941 verschollen

Ihre extremste Ausformung erfährt die Mahdi-Erwartung im schiitisch-imamitischen Islam des Iran ("Zwölfer-Schiiten"), und hier ist der Mahdi eindeutig definiert: Es ist der zwölfte Imam Mohammed al-Mahdi, der im Jahr 941 unter ungeklärten Umständen verschwand. Er ist nur der letzte einer ganzen Kette von tragischen Figuren, die in ihrer Legitimität betrogen wurden und für ihre Rechtgläubigkeit oftmals ihr Leben ließen. In diesen - legendenhaften - Vorkommnissen ist der schiitisch-imamitische Hang zu selbst auferlegten Leiden und zum Märtyrertum begründet.

Aber der Mahdi wird nach schiitischer Meinung wiederkommen, um Gerechtigkeit zu schaffen und dem Islam die Weltherrschaft zu übertragen. Präsident des Iran ist der verschollene Imam nach der Verfassung von 1979 bereits heute, die Ayatollahs sind lediglich Statthalter bis zu seiner Rückkehr.

Der Erlöser kann nur inmitten des Chaos erscheinen

Khomeini legte noch einen Zahn zu, indem er postulierte, man dürfe seine Rückkehr nicht geduldig abwarten, wie es bis dahin Usus war, sondern müsse sie beschleunigen: Der Mahdi kann nach der schiitischen Lehre nämlich nur inmitten eines Chaos erscheinen. Chaos zu erzeugen sei deshalb eine gottgefällige Tat, denn sie beschleunige das Heraufziehen des islamischen Zeitalters.

Unter den beiden Nachfolgern Khomeinis, Rafsandschani (1989-1997) und Chatami (1997-2005), hatte das Mahdi-Konzept keine politische Bedeutung. Das änderte sich schlagartig mit dem Aufstieg Khameneis und seines Zöglings Mahmoud Ahmadinedschad. Sie erhoben die Mahdi-Erwartung zum politischen Konzept.

Bereits im ersten Amtsjahr 2006 wünschte Ahmadinedschad bei einer Rede in Kermanschah der Christenheit fröhliche Weihnachten, denn "der Tag ist nahe, an dem Jesus an der Seite des verschollenen Imams wiederkehren wird". Und das war keineswegs zynisch gemeint, wie bisweilen unterstellt wurde, denn auch Jesus spielt im imamitischen Islam eine große Rolle.

Seitdem gab es keine programmatische Rede der Staatsführung mehr, in der nicht auf die immer näher rückende Ankunft des Mahdi eingegangen worden wäre. Es wurde auch verlautbart: "Die Nuklearkraft ist Teil der Vorbereitung zur Rückkehr des Verborgenen."

Jesus wird die Evangelien zurückziehen

Das Rückkehrereignis ist für die klerikale iranische Staatsführung das zentrale Ereignis. Wie der Präsident ausführte, werde mit dem Mahdi gleichzeitig Jesus erscheinen und beide werden nach Mekka reisen.

Nach gemeinsamer siebenmaliger Umrundung der Kaaba werde der Mahdi Jesus in der richtigen Art des Betens unterweisen und dieser werde dann die Evangelien durch den Koran ersetzen. Zugleich werden alle Menschen zum iranischen Islam konvertieren und dieser werde die einzige Religion auf Erden sein. Die Langstreckenrakete, die der Iran 2010 der Welt vorstellte, hieß "Mahdi".

Kompromisse sind überflüssig

Die Unruhen in der arabischen Welt sind in den iranischen Medien ein weiteres Zeichen für die unmittelbar bevorstehende Wiederkunft, wie auch ein offizielles Video zeigt.

Die klerikale Staatsführung des Iran sieht sich in einer Win-Win-Situation. Selbst das schlimmste Szenario bringt die Wiederkehr des Mahdi näher, der die Ungerechten bestrafen und den Islam zur einzigen Weltmacht machen würde. Aus dieser Überzeugung heraus muss man keine Kompromisse eingehen.

Am 12. Juli dieses Jahres ist es wieder so weit: Da findet in Teheran die 8. Konferenz zur Vorbereitung der Rückkehr des Mahdi statt. (Norbert Schmidt, Leserkommentar, derStandard.at, 10.7.2012 )