Ein altgedienter israelischer Scherz könnte bald ausgedient haben: Moses habe das jüdische Volk durch eine falsche Abzweigung in die einzige Ecke des Nahen Ostens gebracht, wo es kein Öl gibt. Energiesicherheit war lange eine heikle Angelegenheit für das schmale Land Israel, dessen Nachbarschaftsbeziehungen nicht immer einfach waren. Doch in den letzten Jahren wurden riesige Gasvorkommen vor Israels Küste entdeckt. Das schafft neue Tatsachen und könnte aus dem abhängigen Gasimporteur bald einen gut verdienenden Exporteur machen.

"Die Gasfunde werden die Zukunft der Region mitbestimmen", sagte Oded Eran, ein ehemaliger israelischer Diplomat und Direktor des Institute for National Security Studies (INSS), vergangene Woche in Tel Aviv. Doch in welcher Weise wird Gas die Politik und Wirtschaft der Region beeinflussen? Wird es zu mehr Konflikten oder mehr Kooperation führen?

Um darauf Antworten zu finden, hat das INSS in einer Konferenz europäische und israelische Experten zusammengebracht. Allzu viel Optimismus war dabei nicht zu spüren. "Die Träume von Milch und Honig sollten wir gleich abkühlen", meinte etwa Antonia Parwanowa, bulgarische EU-Parlamentarierin und Vorsitzende des Energiekomitees der Union für den Mittelmeerraum. Um die Gasvorkommen tobt ein Konflikt zwischen Israel und dem Libanon sowie zwischen Zypern und der Türkei.

"Solange es nur ums Business ging, war alles gut", sagt Parwanowa. Ein politischer Streit lege dem Unternehmensgeist schon jetzt Hürden in den Weg. "Der Krieg lief gut, bevor das Hauptquartier dazukam", scherzt sie.

Riesige Vorkommen

Jahrzehntelang hat Israel vor der Mittelmeerküste im Meeresgrund gebohrt, ohne dabei auf Öl zu stoßen. Stattdessen fand man im Jahr 1999 Gas, rund 40 Kilometer vom israelischen Hafen Ashdod entfernt. Doch dieses Gasfeld ist nichts im Vergleich zu dem, was im Jahr 2009 und 2010 entdeckt wurde: Das Tamar-Feld mit geschätzten 238 Milliarden Kubikmetern an Vorkommen und das Leviathan-Feld mit geschätzten 450 Milliarden Kubikmetern.

Mit dem Gas könnte Israel einerseits den eigenen Bedarf decken. Das ist vor allem deshalb wichtig, weil Ägypten, das Israel jahrelang mit Gas versorgte, im April dieses Jahres ein Abkommen aufgekündigt hat. Das dürfte Israel nun weniger Sorgen machen.

Doch die Gasfelder sind derart groß, dass Israel die Hälfte der Ressourcen über die nächsten 25 Jahre exportieren könnte, meinte Alexander Varshavsky, israelischer Ölkommissar, bei der INSS-Konferenz in Tel Aviv. Das seien rund 400 Milliarden Kubikmeter. Und viel Geld.

"Doch wenn Kooperation funktioniert, hätte es auch viele Vorteile für andere Länder. Verlässliche Stromversorgung, saubere Energie, höhere Steuereinnahmen", sagte Varshavsky. "Auch die EU wird profitieren." Eine Pipeline durch die Türkei könnte Gas nach Europa liefern und so die Abhängigkeit Europas von russischen Gaslieferungen verringern.

Doch auch Varshavsky wagt keinen Optimismus, ohne auch die Probleme anzusprechen. Der Streit zwischen Israel, der Türkei, dem Libanon und Zypern um Grenzen und Gebietsansprüche könnte die weitere Entwicklung des Projekts blockieren. Außerdem wolle die EU aus politischen Gründen ihre Hand nicht zu weit nach Israel ausstrecken. Und die Sicherheit der Ölbohrungen in einer instabilen Region sei nicht gewährleistet.

Konflikt oder Kooperation?

Einer, der bei der Konferenz frischen Wind versprühte, war Solon Kassinis, Direktor für Energieberatung im zypriotischen Energieministerium. "Wir alle müssen versuchen, den Politikern zu helfen, damit sie ihre Differenzen überwinden können", meinte er. Von diesen Differenzen gibt es jedenfalls genug.

Teile der von Israel erforschten Gasfelder werden etwa auch vom Libanon beansprucht, während die Türkei die Bohrungen Zyperns verhindern will, weil sie die griechisch-zypriotische Regierung nicht anerkennt. Die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei sind spätestens seit Israels Militäroperation gegen die sogenannte Gaza-Flottille im Jahr 2010 eingefroren. Dabei hatten israelische Soldaten neun türkische Aktivisten getötet.

"Ich denke, dass Energie ein Katalysator für einen Prozess sein kann, der Probleme überwindet", meinte Kassis. Dabei solle Zypern eine zentrale Rolle spielen, indem es eine Brücke zwischen Europa und Israel sowie zum Libanon herstellt. Zypern habe schon nach sechs Monaten ein Abkommen über die Gasvorkommen mit Israel unterzeichnet. Andere sollen sich ein Beispiel nehmen.

"Israel muss aber auch die Paranoia loswerden, dass alle rundherum Feinde sind", meinte Kassis, sagte dann aber schnell, dass er ja kein Politiker, sondern nur Technokrat sei.

"Segen und Fluch"

"Energie kann ein Segen und ein Fluch sein", meinte Samuele Furfari von der Freien Universität Brüssel und Berater der Generaldirektion für Energie in der Europäischen Kommission. Ein schlechtes Beispiel seien viele afrikanische Staaten, die trotz großer Ölvorkommen "im Elend" blieben. Norwegen sei ein gutes Beispiel, weil es einen Fonds für zukünftige Energiesicherheit gegründet hat. Das sei besonders wichtig, weil das Öl nicht ewig fließen werde. Gas werde deshalb immer wichtiger, auch für die Stromerzeugung. Außerdem sei es sauberer als Öl.

Ein Vorbild für die positive Rolle, die Energie in der Friedensstiftung spielen kann, sieht Furfari in der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), die nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden durch gemeinschaftliche Kontrolle der kriegsgewichtigen Ressourcen Kohle und Stahl sichern sollte. Aus der EGKS ist dann die Europäische Gemeinschaft hervorgegangen.

Doch der Mittelmeerraum ist der EU nicht sehr ähnlich. Das sieht man auch an der Union für den Mittelmeerraum, die ihr selbst gesetztes Ziel der Sicherung von Wohlstand und Stabilität in der Region wohl noch lange nicht erreichen wird. Denn außer der Verbindung zum Mittelmeer haben die Mitgliedsstaaten dieser Union kaum etwas gemeinsam.

Für Israel, Zypern und die Europäische Union sind die Gasfunde jedenfalls eine gute Sache. Ob auch der Libanon und Staaten wie die Türkei, die als Transitland an einer Pipeline mitverdienen würde, ihre Differenzen beilegen werden, dürfte von zwei Dingen abhängen: Wille zur Zusammenarbeit und Profit. Wer sein Stück vom Kuchen bekommt, wird auch viel eher am Tisch sitzen, wenn es um Kompromisse geht. (Andreas Hackl, derStandard.at, 7.7.2012)