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Meister Bob Dylan in Salzburg: Tatsächlich waren einmal auch Spuren einer nicht so schlechten Laune zu entdecken.
Salzburg - Es gibt Leute, die Bob Dylan schon einige Jahrzehnte live verfolgen. Zumindest bei seinen Österreichkonzerten sitzen immer dieselben vier, fünf, fünfzehn Leute in der ersten Reihe Mitte. Diese naturgemäß guten Menschen bezeichnet man als Dylanologen. Sie können gar nicht böse sein, weil die vielen schönen Lieder Bob Dylans der Dummheit und Schlechtigkeit auf der Welt erheblichen Schaden zufügen. Das bedeutet, dass Leute, die viel Bob Dylan hören, weniger hartherzig, verstockt, verbittert oder schlichtweg fetzendeppert sind als Menschen, die das nicht tun. Nur jetzt mal so als Idee. Vielleicht würde Bob Dylan gerne einmal andere oder jüngere Leute oder auch Frauen vorne in der ersten Reihe sehen. Aber er ist ja nicht nur zu seinem Vergnügen hier.
Dylanologen verfolgen also in der ersten Reihe fußfrei mit analytischem Blick und brennendem Herzen Jahr für Jahr die jeweiligen Livesichtungen der steinalten Lieder des Alten an vorderster Front. Der Rest des Publikums in den bestuhlten Hallen, also die Halb- und Vierteldylanianer sowie die Laufkundschaft, stürmt dann sofort beim Erscheinen des Meisters auf der Bühne Richtung Altar.
Charme der Mehrzweckhalle
Womit wir in Salzburg und der Salzburgarena wären. Man muss an Dylanologen zudem bewundern, dass sie sich angesichts der üblichen Austragungsorte eines Dylan-Konzerts trotzdem nicht verhärten lassen. Der spielt nicht in der Oper oder in einem richtigen Konzertsaal, der spielt wirklich überall. Dylans Lieder müssen also so saugut sein, dass sich die Dylanologen trotz horrender Eintrittspreise nicht von der Architektur einer Mehrzweckhalle niederzwingen lassen.
Man führe sich nur all die Stunden, all die kostbare Lebenszeit vor Augen, die ein Dylanologe vor und innerhalb solcher Mehrzweckhallen verbringt. Wie fest muss da ein Charakter sein, um nicht von beklemmendem Stahlbeton, seelenkaltem Neonlicht und gemütsverdunkelnden Plastiksitzen gebrochen zu werden!
An diesem Abend hat sich Bob Dylan dafür entschieden, unter einem edlen Sombrero einen Kapitän der Salzkammergutbinnenflotte zu geben. Der Meister mag unfehlbar sein. Dennoch wäre ein Wechsel des Schneiders angesichts dieser sackig geschnittenen Kapitänsjacke und weißen Zugluftflatterhose anzuraten.
Vielleicht will er in der grimmigen Umgebung aber gleich zu Beginn klarmachen, dass es hier wie immer darum geht, der besagten Dummheit und Schlechtigkeit auf der Welt mit Taschenspielertricks und gutem tiefem Schmäh vor Augen zu führen, wohin sie sich ihre Rationalitäten, Faktenlagen und Mehrzweckhallen stecken kann. Wie heißt es im heute als knarzender Western-Swing gegebenen, relativ jungen Lied "Things Have Changed" von 2000: "All the truth in the world adds up to one big lie." Früher musste man sich deshalb Sorgen machen - aber schließlich kommt man im Alter drauf, dass die zu Ende gehende Zeit vor allem auch eines macht. Sie macht Wurst.
Fummeln an der Orgel
Hack-, Schrubb- und Antifaschismusgitarre spielt Dylan heute leider nur noch selten. Dafür hat er schließlich Charlie Sexton und eine über all die Jahre ausgezeichnet aufeinander eingespielte fixe Band. Neben der Beklimperung eines Klaviers und ein bisschen Fummeln mit dem Örgelchen hat Dylan allerdings bei Klassikern wie "Tangled Up in Blue" so etwas Ähnliches wie Tanzen, ohne sich wirklich zu bewegen, entdeckt.
Wenn Dylan während seiner nach wie vor anarchistisch-unbelehrbaren Mundharmonikazuritte vorne an der Bühnenrampe keck eine Hand seitlich in die Hüfte stemmt oder hinter den Tasten die Gummiknie durchschüttelt, kann das zuzüglich ständigen Gutelaunegrinsens beim Salzburgkonzert durchaus als möglicher neuer Zweig der Dylanologie angedacht werden.
Gespielt hat Bob Dylan schließlich das Übliche, aber das unverhofft beherzt und energetisch: "Highway 61 Revisited", "Don't Think Twice, It's Alright", "Blowin' in the Wind", "Like a Rolling Stone", "Ballad of a Thin Man" und auch "All Along the Watchtower". Sie wissen schon, dieses Zeug. Es hat prächtig geklungen. Dann ist das Saallicht angegangen. Alle Augen haben geleuchtet. Dürfen wir jetzt bitte schnell diese Halle verlassen? Aber, hey, Bob Dylan hat fast getanzt! (Christian Schachinger, DER STANDARD, 9.7.2012)