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Präsident Morsi erklärte die Auflösung des Parlaments für nichtig.

Foto: Reuters/Abdallah Dalsh

Kairo/Wien - Ägyptens neuer Präsident fordert den Militärrat heraus: Völlig überraschend erließ Mohammed Morsi am Sonntag ein präsidententielles Dekret, mit dem er das Parlament wieder einsetzte, das der Militärrat Mitte Juni aufgelöst hatte. Der Militärrat unter der Leitung von Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi traf noch am Sonntag zu einer Krisensitzung zusammen.

Offiziell hat ja der Militärrat, der am 11. Februar 2011 Hosni Mubarak stürzte, die Macht an Morsi abgegeben - sich aber zuvor durch eine "ergänzende Verfassungserklärung" große Portionen dieser Macht gesichert: So sprach sich der Militärrat die legislativen Rechte des aufgelösten Abgeordnetenhauses zu. Indem Morsi dieses nun wieder einsetzt - bis zu neuen Wahlen, die innerhalb von 60 Tagen nach der Verfassungsgebung stattfinden sollen -, setzt er sich über die Verfassungserklärung der Militärs hinweg. Der Konflikt zwischen Militärs und ziviler Macht - Morsi vertritt hier nicht nur die Interessen der Islamisten - ist damit voll entbrannt, nachdem Morsi zuvor vorgeworfen worden war, dass er sich mit den Militärs arrangiert habe.

Säkulare Lager profitieren von Neuwahl

Das im vergangenen Winter gewählte Parlament war vom Obersten Verfassungsgerichtshof für nicht rechtskonform erklärt und danach vom Militärrat aufgelöst worden, weil für Unabhängige reservierte Sitze an Kandidaten meist islamistischer Parteien vergeben wurden. Von Neuwahlen, bei denen die Unabhängigen-Regel respektiert wird, werden demnach das säkulare Lager profitieren. Im aufgelösten und jetzt von Morsi wieder eingesetzten Parlament halten die beiden großen islamischen Parteien, die der Muslimbrüder und die der Salafisten, 75 Prozent. Die Partei der Muslimbrüder, FJP (Freiheits- und Gerechtigkeitspartei) - deren Chef Morsi war, bevor er Präsident wurde - hatte die Entscheidung des Verfassungsgerichts angefochten, Morsi kommt nun einer Entscheidung zuvor.

Die Auflösung der zweiten Kammer, für die das Urteil des Verfassungsgerichtshofs ebenso gilt, ist bisher noch nicht erfolgt, und ebenso ist die vom - nicht rechtskonformen - Parlament gewählte Versammlung, die die neue Verfassung schreiben soll, nicht aufgelöst worden, was manche Juristen für fragwürdig halten. Dass der Militärrat diese Versammlung bestehen ließ, obwohl auch sie von Islamisten dominiert wird, interpretierten viele als Kompromiss zwischen Armee und Islamisten. Es hieß auch, Morsi habe den Militärs ihre Sonderrolle im Staat bestätigt. Damit ist es jetzt vorbei. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 9.7.2012)