René Redzepi (links), Noma-Chef, MAD-Initiator und kulinarisches Zugpferd, packt selbst zu und schleppt den Eiskarren über das Symposiumsgelände (unten).

Foto: Miriam Janauschek
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Während im Zelt Experimentelles verkostet wurde, fiel das Mittagessen vertraut und vegetarisch aus.

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Sehr gut: unreife Pfirsiche, dünn aufgeschnitten, drei Tage in Essig und Salz eingelegt.

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Tor Norretranders hat sich einiges vorgenommen für seinen Auftritt: Er will die Vertreibung aus dem Paradies rückgängig machen. "Die Welt ist essbar", ruft er ins Publikum. "Sie ist keine Wüste, der wir etwas abtrotzen müssen. Sie ist ein wunderbarer Garten, in dem wir uns nur bedienen müssen." Hungriger Applaus.

Norretranders Zuhörer sitzen in einem Zirkuszelt im Kopenhagener Hafen und kommen aus der ganzen Welt: Wissenschafter, die über mittelalterliche Essgewohnheiten forschen oder die Psychologie eines guten Menüs; Lebensmittel-Handwerker, die Sauermilchbutter per Hand schleudern oder Seeigel aus dem Eismeer tauchen; und, vor allem: einige der besten Köche der Welt. Sie sind nach Kopenhagen gekommen, um beim MAD-Symposium über das zu sprechen, was ihnen wichtig ist - nämlich wie es mit dem guten Essen weitergeht.

Ferran Adriá, Fergus Henderson, David Chang

Ferran Adriá ist da, Erfinder der Molekularküche und wichtigster Küchenerneuerer der vergangenen 40 Jahre. Fergus Henderson ist da, Großmeister des nose to tail eating. Und David Chang natürlich, New Yorker Koch-Rockstar mit koreanischen Wurzeln.

Die Atmosphäre erinnert an ein Großfamilientreffen: René Redzepi, Noma-Chef, dreimal in Folge bester Koch der Welt und Initiator des MAD, begrüßt jeden einzelnen Gast per Handschlag und sagt, wie sehr er sich über das Kommen freut. Seine Kellner werden während der MAD-Tage zu Chauffeuren, seine Köche zu Bühnentechnikern und Übersetzern.

Redzepi selbst verteilt Eis oder trägt das Mikrofon zu Zuhörern, die Fragen haben. Ohne Spenden und Unterstützung von Freunden und Bekannten wäre das Symposium nicht möglich, sagen die Organisatoren. Doch es kommt auch einiges dafür zurück.

New Nordic Cuisine

Dank Redzepi, MAD und dem Noma ist in und um Kopenhagen in den vergangenen Jahren die aktuelle kulinarische Leitkultur entstanden, die New Nordic Cuisine. Ihre Botschaft: Das Gute kommt nicht aus der unerreichbaren Ferne, wie etwa die Gewürze des Mittelalters, es kommt noch nicht einmal aus Frankreich. Das Gute, das Beste, wächst vor jeder Haustüre und jedem Küchenfenster, das ganze Jahr, immer und überall. Konsequent serviert Redzepi etwa frittiertes Moos und Baumrindensaft. Das MAD-Symposium und seine Redner sollen klarmachen: Das war erst der Anfang.

"Man kann alles essen, manches hat nur Konsequenzen", erklärt ein junger Mann vom Nordic Food Lab, der Noma-Forschungsstation, in seinem Vortrag. "Wir sollten erst schauen, ob etwas köstlich ist, und dann erst, ob es essbar ist - nicht umgekehrt." Im Zweifelsfall lässt sich schon ein Weg finden, etwas genießbar zu machen.

Gemeinsam mit Kollegen hat er Heuschrecken zu einer Sauce fermentiert, die ähnlich schmeckt wie Fischsauce, nur delikater. Sie haben Ameisen aus Dänemarks Wäldern verkostet und entdeckt, dass manche wie Zitronengras oder Kaffirlimette schmecken, andere bieten Noten von Koriander oder Pinienkernen. Für ein Restaurant wie das Noma, das nur streng lokales Essen serviert, ist das höchst interessant.

Heuschrecken-Sauce in Mini-Ampullen

Damit das Publikum weiß, worüber gesprochen wird, werden Kostproben durch die Zirkustribünen gereicht: Das Nordic Food Lab verteilt seine Heuschrecken-Sauce in Mini-Ampullen, dazu kleine Tiegel mit ungeschlüpften Bienen-Drohnen (fein fettig) und den Ameisen. Wenn man sie kaut, dann platzen sie wie Kaviarperlen, die Säure prickelt angenehm auf der Zunge.

Der Mexikaner Enrique Olvera hat papierdünne Blättchen mitgebracht, die aus getrocknetem Püree kontrolliert verrotteter Bananen bestehen. Roderick Sloan, der das Noma mit Seeigeln von der Küste Norwegens versorgt und beim MAD über seine Arbeit erzählt, lässt kleine Schalen mit gefrorenem Eiswasser verteilen. "Halten Sie Ihre Lippen eine Minute lang an das Eis", befiehlt er den Zuhörern. "Dann wissen Sie, wie sich meine Lippen vier Stunden lang anfühlen, wenn ich arbeite."

Ziel für Kulinarik-Touristen

Kopenhagen ist auch abseits des Symposiums ein ideales Ziel für Kulinarik-Touristen: In einer einzigen Gasse, der Jaegersborggade, findet sich mit dem CoffeeCollective eines der besten Kaffeegeschäfte Europas, Meyers Bageri, die Bäckerei von Noma-Erfinder Claus Meyer und das Restaurant Relae, das in einem Souterrain ebenso hochklassige wie leistbare neoskandinavische Küche serviert.

Ein ehemaliger Sous-Chef des Noma, Jesper Kirketerp, hat sich mit dem Radio selbstständig gemacht, wo Noma-Küche etwas legerer und zu vergleichsweise günstigen Preisen serviert werden soll; und gleich neben der Touristenmeile Nyhavn hat Sternekoch Bo Bech das "Geist" aufgesperrt, in dem ein beachtlicher Teil der MAD-Gäste zu Abend speiste.

Wo immer Eröffnungsredner Norretranders aß, er tat es für die gute Sache: Der Mensch solle sich nicht entschuldigen, sondern stolz sein, auf der Welt zu sein - nur weil ständig wer auf Erden verdaut, kann auch wieder gedüngt werden, damit Neues wächst, erklärt er. In seinen Worten: "Gib mir gutes Essen, und ich verspreche, ich gebe gute Scheiße zurück." (Tobias Müller, Rondo, DER STANDARD, 13.7.2013)