Ein Platz im Hörsaal ist rasch gefunden, schnell noch Stifte und Notizblock aus der Tasche gekramt. Schon tritt der Professor vor die Studierenden, ergreift das Wort, aber: Stille. Für die insgesamt 30 gehörlosen Studierenden in Österreich ist das Alltag.

"Eine Plage", sagt Alexander Karla-Hager, selbst gehörloser Student an der Technischen Universität (TU) Wien und Vorstandsmitglied im Verein Österreichischer Gehörloser Studierender, über die Realität an der Universität. Um Vorlesungen folgen zu können, sind Gehörlose, deren Muttersprache die Gebärdensprache ist, auf Dolmetscher angewiesen. Deren Dienste sind aber sehr teuer, viele können es sich daher oft nicht leisten, für mehr als eine Lehrveranstaltung pro Semester einen Dolmetscher zu organisieren.

Projekt GESTU hilft

Das Projekt GESTU (Gehörlos erfolgreich studieren an der TU Wien) unterstützte bisher 13 gehörlose Studierende in Wien in ihrem Unialltag. Gehörlose Studierende, die Hochschulen außerhalb Wiens besuchen, können die Hilfe nicht in Anspruch nehmen.

Seit Juni 2010 koordiniert eine eigens eingerichtete Servicestelle an der TU Wien die Einsätze von Gebärdensprachdolmetschern und Tutoren an mehreren Wiener Hochschulen, die den gehörlosen Studierenden mit Mitschriften und Lernhilfe zur Seite stehen.

Mehr als 800.000 Euro wurden für das zweijährige Projekt in die Hand genommen: Über 550.000 Euro steuerte das Wissenschaftsministerium bei, den Rest zahlte die TU. "Das Projekt ermöglicht den Studierenden, ihr Studium in einer annehmbaren Dauer zu absolvieren", begründete Wissenschaftsminister Karlheinz Töchterle im Rahmen einer Pressekonferenz am Donnerstag seine Unterstützung für das Projekt.

"Mit GESTU kann ich fünf Lehrveranstaltungen pro Semester machen. Hörende Studierende schaffen durchschnittlich acht", erzählt Karla-Hager. Im Juni dieses Jahres ist das Projekt ausgelaufen, über eine Zwischenfinanzierung soll es bis 2015 weitergeführt werden. Was danach geschieht, ist noch unklar. 

Eine Lehrveranstaltung pro Semester

Lange Zeit war es unsicher, ob GESTU überhaupt weitergeführt wird. Diese Ungewissheit war vor allem für die betroffenen Studierenden ein großes Problem: Ohne das Projekt müssen sie sich ihre Dolmetscher selber organisieren, was kurzfristig kaum möglich ist.

Denn der Fonds Soziales Wien unterstützt gehörlose Studierende zwar finanziell; diese Unterstützung ist aber mit einem langwierigen bürokratischen Aufwand verbunden. Die rund 5.000 Euro, die die Studierenden für ein Jahr erhalten, ermöglichen einen Dolmetscher für lediglich eine Lehrveranstaltung pro Semester. Die Erfahrung, dass die Förderungen nicht leicht zu erhalten sind, machte auch Adalbert Prechtl, Vizerektor für Lehre an der TU Wien. Ursprünglich waren im Finanzierungsplan des GESTU-Projekts auch Zuschüsse vom Fonds Soziales Wien vorgesehen. "Es hat sich aber als schwer herausgestellt, diese Zuschüsse zu erhalten", sagt Prechtl.

20 Jahre für das Psychologie-Studium

"Ohne GESTU würde ein Studium für gehörlose Studierende extrem lang andauern - 20 Jahre ", erzählt Barbara Hager, gehörlose Psychologie-Absolventin. Vizerektor Prechtl wünscht sich die dauerhafte Einrichtung einer Servicestelle für gehörlose Studierende. Die Kosten dafür würden sich allerdings auf eine halbe Million Euro pro Semester belaufen. Die TU-Behindertenbeauftragte und stellvertretende GESTU-Projektleiterin Marlene Fuhrmann-Ehn richtet sich deshalb direkt an die anderen Universitäten, die sich wie die TU "bitte daran aktiv beteiligen" sollen.

Durch die Zusammenarbeit mit der Österreichischen Hochschülerschaft (ÖH) will Karla-Hager dafür sorgen, dass das Projekt "nicht im Sand verläuft". Für die ÖH ist das GESTU-Projekt aber "nur ein erster Schritt". Es brauche "viele weitere derartige Projekte mit einer langfristigen Finanzierungszusage, einem bundesweiten und flächendeckenden Ausbau an Servicestellen". Auch die Grünen fordern die Übernahme von GESTU in den Regelbetrieb an allen Unis.

Für Barbara Hager ist GESTU eine Bereicherung; zu tun bleibt aber auch für sie noch einiges: So gebe es in Wien keinen Lehrstuhl für Gebärdensprache, und an den PHs könnten Gehörlose wegen der per Hochschulverordnung vorgeschriebenen "körperlichen Eignung" nur als außerordentliche Studenten zugelassen werden. Auch der Wissenschaftsminister weiß: "Wir sind auf einem guten Weg, aber nicht am Ziel." (Sarah Dyduch, derStandard.at, 12.7.2012)