
Das fette, in Folie gepackte Fleisch der Wohlstandsjahre: Michael Schmidt wirft in seiner Fotoserie "Lebensmittel" unverstellte Blicke auf das industrielle Elend unserer Ernährung.
Innsbruck - Überraschend die Ruhe im sonst so umtriebigen Foyer der Galerie im Taxispalais: Das Foyer gibt mitnichten preis, was von der Ausstellung zu erwarten ist. Einzig das Plakat "Lebensmittel" in der Außenvitrine hat einen gewissen Vorgeschmack gegeben: ein Klumpen rohes Faschiertes in Folie gepresst. Mit diesem Bild im Kopf erstaunt der leergehaltene Raum.
Dieser entpuppt sich als präzis gesetzter Anfang der Ausstellung. Denn auf ebenso zurückhaltende Art werden vier kleinformatige Fotografien im ersten Raum präsentiert: Ein anonymer Arbeiter ist der Fotografie einer verwahrlosten Tasche gegenübergestellt. Produktionsabfall hängt gegenüber der Fotografie eines Apfels. Die Anordnung unterstreicht jene visuelle Bildsprache, für die der 1945 in Berlin geborene Fotograf Michael Schmidt bekannt ist.
So vermischte er in Serien wie "Waffenruhe" (1985-1987) und "EIN-HEIT" (1991-1994), die beide im Moma in New York gezeigt wurden, seine Fotografie mit jener Dritter. An diesen Wechselwirkungen, die sich aus arrangierten Fotografien und viel Raum ergeben, hält der Künstler nach wie vor fest. Denn für ihn ergeben eins plus eins drei: "Zwei Bilder treten in eine Argumentation (...), und (...) irgendwann entsteht dadurch ein anderes Bild als jenes, das du objektiv wahrnimmst". Dafür nuanciert Schmidt die Farbe Grau derart, dass sie als eigener Wert wahrgenommen werden kann.
Footage von der Farm
In "Lebensmittel" führt Schmidt seine Arrangements und Grau-Skalen ein wenig in die Farbigkeit zurück. In 177 Aufnahmen zeigt er Produktionsstätten, Prozesse und Produkte von Großbäckereien, Schlachthöfen, Fischfarmen und landwirtschaftlichen Betrieben in Europa. Entstanden auf 26 Reisen zwischen 2006 und 2010, balancieren die Bilder hart an der Grenze zwischen Information, Befremdung und serieller Gefälligkeit. Schmidt kombiniert dabei seinen ausschnitthaft gehaltenen Blick auf Mensch und Industrielandschaft mit jenem auf natürliche Lebensmittel (Fleisch, Äpfel, Tomaten, Gurken). Seine realistische Sichtweise steht im Widerspruch zu jener von klassischen Fotografen wie Edward Weston.
Dieser setzte 1929 in seiner Serie "Pepper" Paprika aus industrieller Produktion in perfektionistischer Ästhetik in Szene. Schmidt stellt hingegen einer Gruppe von Erntehelfern einen Karton mit der Aufschrift "Zerbrechlich" gegenüber; hängt eine Schicht Wurst neben das Bild einer Mauer. Darunter ist in einer Aufnahme der Rücken einer gebückten Arbeiterin auszumachen, gleich daneben drei Schweine in Massentierhaltung. Die Grausamkeit unserer Nahrungsgewohnheiten und die in Kauf genommenen Arbeitsbedingungen setzt Schmidt assoziativ nebeneinander. Ganz bewusst verzichtet er dabei auf lokale Verweise, um zu verdeutlichen, dass es nirgends anders sei, auch nicht bei uns.
Am besten kommt dies in der Halle im Untergeschoß zur Geltung, wo ein Eisblock mit Fischen, rosa Wurstteile und abgepackte Gurken in extremer Nahsicht hängen. Gegenüber ist nur eine einzelne Fotografie einer Mango zu sehen. Der Raum ist ansonsten leer. Aber erfüllt vom Wissen, dass die industrielle Fertigung von Nahrungsmitteln pragmatisch und massenhaft, vor allem skrupellos weiter vor sich geht. (Tereza Kotyk, DER STANDARD, 13.7.2012)