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Die durch Fukushima zu erwartenden Krebstoten und Erkrankungsraten sollen um eine Größenordnung geringer sein als diejenigen nach dem Atomunfall von Tschernobyl.

Foto: AP/Koji Sasahara

Durch den Reaktorunfall von Fukushima könnten im Extremfall weltweit bis zu 1.300 Menschen mehr an Krebs sterben. Bis zu 2.500 weitere könnten neu an Krebs erkranken - die meisten von ihnen in Japan. Dies haben US-amerikanische Forscher mit einem Computermodell errechnet. Die Zahlen liefern erstmals eine Einschätzung dazu, welche globalen gesundheitlichen Folgen der nukleare Unfall vom 11. März 2011 nach sich ziehen wird.

Die nun errechneten Werte hätten zwar enorme Spannbreiten, sie stünden aber in klarem Widerspruch zu Aussagen beispielsweise des UN Science Committee on the Effects of Atomic Radiation (UNSCEAR), berichteten die Forscher im Fachmagazin "Energy and Environmental Science". "Es gibt einige Gruppen, die gesagt haben, es würde keine globalen Effekte geben", erklärt Studienleiter Mark Jacobson von der kalifornischen Stanford University. Auch das UN-Komitee habe vorausgesagt, es werde keine ernsthaften Gesundheitsfolgen durch die freigesetzte Strahlung geben. Die jetzt ermittelte Rate von zukünftigen Toten und Krebskranken sei zwar außerhalb Japans tatsächlich sehr niedrig, aber nicht null.

Die Forscher kamen auf rund zusätzliche 130 Krebstote weltweit. Die Spanne reicht dabei von 15 bis 1.300 Todesfällen, wie die Wissenschafter berichten. Diese kämen noch zu den rund 600 Menschen dazu, die bereits im Rahmen der Evakuierung und der Notfallmaßnahmen im Atomkraftwerk gestorben seien.

Mittelwert bei 180 Fällen

Bei den zu erwartenden Krebserkrankungen liege der Mittelwert bei 180 Fällen, mit einer Spannbreite von 24 bis 2.500 Fällen. Wie die Forscher berichten, liegen die durch Fukushima zu erwartenden Krebstoten und Erkrankungsraten damit um eine Größenordnung niedriger als nach dem Atomunfall von Tschernobyl.

Die mit Abstand meisten Betroffenen gebe es unter den Bewohnern Japans, sagen die Forscher. Auf dem asiatischen Festland und in Nordamerika seien die gesundheitlichen Folgen dagegen sehr gering. So prognostizieren die Wissenschafter für die USA nur 0,2 bis 6,3 zusätzliche Todesfälle und zwischen 0,3 und 15 Krebserkrankungen.

Für Europa liegen die Werte noch niedriger. Hier ergab die Simulation 0,17 bis 4,8 zusätzliche Krebstote und 0,3 bis elf Krankheitsfälle. "Das trägt sicher dazu bei, die Befürchtungen zu zerstreuen, dass die Fukushima-Katastrophe gravierende weltweite Auswirkungen haben könnte", betont Erstautor John Ten Hoeve von der Stanford University.

Cäsium-137, Jod-131 und Cäsium-134

Den Hauptgrund für die vergleichsweise geringen globalen Folgen sehen die Forscher darin, dass der größte Anteil des radioaktiven Materials ins Meer gespült wurde. Nur 19 Prozent der freigesetzten radioaktiven Elemente seien über dem Land niedergegangen, berichteten sie. In Japan habe auch die schnelle Evakuierung und das Anbauverbot für Getreide, Obst und Gemüse in belasteten Gebieten dazu beigetragen, dass nicht noch mehr Menschen radioaktiv kontaminiert wurden.

Für ihre Studie hatten die Forscher ein 3D-Atmosphärenmodell genutzt, um die Ausbreitung von radioaktivem Cäsium-137, Jod-131 und Cäsium-134 von Fukushima aus zu simulieren. Die damit ermittelten Belastungswerte speisten sie in ein medizinisches Modell ein, über das sie die Krebs auslösende Wirkung der jeweiligen Kontaminierung abschätzten. Da die Belastung durch verseuchte Nahrung und Wasser nur näherungsweise bestimmt werden konnte, erhielten die Wissenschafter für ihre Ergebnisse relativ hohe Spannbreiten. 

Kritik von Global 2000-Experten

Nach der Veröffentlichung der Untersuchung über den Zusammenhang zwischen der Fukushima-Katastrophe und Krebserkrankungen hagelt es vonseiten der Umweltorganisation Global 2000 Kritik. "Aus unserer Sicht ist das eine grob verharmlosende Einschätzung auf Basis von unzureichendem Datenmaterial", so die Organisation. Atom-Experte Reinhard Uhrig schätzt, dass der Atomunfall in Japan sogar Hunderttausende zusätzliche Krebsfälle zu verantworten habe.

Die Zahlen von Global 2000 sprechen eine ganz andere Sprache: In der Präfektur Fukushima werden gerade 360.000 Kinder auf Schilddrüsenkrebs untersucht, der bei den Kleinen normalerweise sehr selten vorkommt, berichtete die Organisation. Von 38.114 untersuchten Kindern und Jugendlichen hatten allerdings bereits 13.384 oder umgerechnet 35 Prozent Knoten in der Schilddrüse, davon 970 mit einem Durchmesser von über fünf Millimeter, berichtete Global 2000. "Sehr wahrscheinlich werden 120.000 Kinder aufgrund der Fukushima-Katastrophen Schilddrüsenknoten bekommen und mit einem hohen Krebsrisiko leben müssen", meinte Uhrig.

Die IAEA hätte bereits 2006 ähnlich verharmlosende Zahlen zur Tschernobyl-Katastrophe veröffentlicht: Man habe damals von 52 unmittelbar nach der Katastrophe getöteten Menschen und von nur 5.000 bis 6.000 weiteren Krebstoten gesprochen. Aus ukrainischen Aufzeichnungen gehe allerdings hervor, dass von den 600.000 Liquitadoren, die in Tschernobyl das schmutzige Aufräumgeschäft erledigen mussten, bereits 100.000 gestorben sind. (APA/red, derStandard.at, 17.7.2012)