Du hörst "Kärnten" und du fragst dich, warum regt sich nichts mehr in dir. Du fährst zurück, von draußen, von irgendwo, und siehst die Tafel am Autobahnrand, "Kärnten - Lust am Leben", und du wirst zornig. Du wirst so richtig zornig.

Weil sie dich anlügen, schon beim Hereinfahren in dieses Land. Weil du weißt, dass es nicht stimmt. Dass dich die Lüge dieses Landes schon an seiner Grenze abfängt. Und du fragst dich, gehörst du hier noch her? Du denkst nach. Du denkst nach und nach. Bis du zur immer gleichen Antwort kommst, dann steigst du aus dem Auto und du weißt, es ist nicht mehr da. Sie haben es dir genommen. Das Heimatgefühl.

Okay, auch, wenn "Österreich" fällt, spürst du nicht mehr viel. Eigentlich spürst du nur mehr etwas, wenn du die zerbrechliche Erde siehst. Fotografiert aus dem Weltall. Wunderschöner Planet, denkst du dir. Schade um ihn.

Schade, das denkst du dir bei Kärnten nicht mehr. Weil du es nicht mehr denken kannst. Und du denkst dir, da ist etwas passiert. Und du weißt auch, was passiert ist. Die Schönheit, mit der dich dieses Land beeindruckt hat und die immer alles irgendwie wieder gut gemacht hat, sie reicht nicht mehr aus.

Die Schönheit, die immer herhalten musste als Ausgleich für diese ganzen Schnittwunden, die du während der letzten Jahre erlitten hast, diese Schönheit ist nicht mehr genug, um das ertragen zu können, was zu ertragen war.

Sie ist konsumiert, sie ist verbraucht, weil du immer wieder gesagt hast, ja, diese Leute sind furchtbar, aber es ist doch so schön hier. In diesem Land. Du fragst dich nach dem Tag, als das angefangen hat. Aber du kannst es nicht mehr beantworten.

Dieser Tag war irgendwann, du hast es übersehen. Du kannst es auch nicht mehr rekonstruieren. Und es ist auch egal. Du weißt nur mehr, dass du immer weniger Luft kriegtest und dass du jetzt gar keine mehr kriegst. Sie fraßen dir die Heimat weg. Diese Leute. Und jetzt nagen sie an dir. Die Schönheit des Landes, die immer so etwas wie dein Schutzschild gegen diese Leute war, sie ist weg.

Und du willst dich schützen davor, dass sie dir immer näher und näher kommen, und es bleibt dir nur mehr eines. Dich zurückzuziehen, dich abzuwenden von ihnen, ihrem System, der Schande, die sie sind und in die sie dieses Land gezogen haben.

Und um dich selbst zu schützen, wanderst du geistig aus. Du wanderst geistig aus diesem Land aus. Neben all den anderen, den fünf bis zehn, die täglich körperlich diesem Land den Rücken kehren und die verständlicherweise in größter Enttäuschung und auch aus Eigenschutz böse über dieses Land reden.

Und die du beneidest, weil sie mehr Mumm haben als du oder weil sie noch Single sind. Und du denkst nach, wie auch du körperlich hier wegkommst, von diesem Land, den ganzen Schmerzen, die diese Leute ihm zugefügt haben und die nicht vernarben.

Und du weißt, du willst deine Familie nicht zerreißen. Das ist der Moment, in dem du akzeptierst, dass du nur mehr körperlich da bist, dass du in deinem eigenen Exil lebst. Und du fürchtest, dass es nicht nur dir so geht, sondern mehreren und du kannst dich des Gedankens nicht erwehren, dass dieses Land, dieses ganze Land das Exil in sich selbst ist.

Dann versuchst du, dir einzureden, welche Berühmtheiten dieses Land hervorgebracht hat. Du willst wieder Luft kriegen, wieder nach oben schwimmen. Bachmann, Handke, Lavant.

Doch dann kommt es dir, du weißt, dass du dich nur selbst bescheißt. Denn du weißt ganz genau, dass zehn Bachmann, fünf Handke und drei Lavant nicht ausreichen, um das, was hier passiert ist, wieder gut machen zu können. Und dass du dich an ihnen nicht wieder aufrappeln kannst. Dass das ja gar nicht geht, dass das ja zwei verschiedene Paar Schuhe sind. Und dass sie nicht herhalten sollten und können für die Zerstörung durch andere.

Dann versuchst du, nicht mehr daran zu denken, dass du es nicht mehr aushältst, was diese Leute machen und welche Leute mit ihnen mitspielen. Dann fängst du an, dich fernzuhalten von Diskussionen über dieses Land, über diese Leute, über ihre Mitfresser. Weil du nicht mehr kannst, du kannst nicht mehr ohne Eigenschaden darüber reden.

Du spürst in dich hinein, merkst, wie es dir alles zusammenzuckt, wenn die anderen, deine Freunde vielleicht, darüber reden. Merkst, wie es auch ihnen schlecht geht dabei, sie es aber aus sich ablassen müssen. Bei dir aber hilft kein Ventil mehr. Du willst, nein, du kannst nicht mehr über dein Land reden. Es ist fremd. Nein, nicht nur fremd, es ist so, als ob es nie da gewesen wäre.

Es fühlt sich so an, als wäre dieses Land unter Gänsefüßchen gesetzt worden. Es berührt dich nicht mehr. Es ist wie eine Geschichte, die ohne Protagonisten stattfindet. Ein Land, das irgendwann seinen Geist verloren hat. Die Erinnerung an dein Land schwinden, sacken ab ins Vergessen.

In diese dunkle Masse, in die dich diese Leute hineingestoßen haben. Wo es scheißegal ist, ob ein erstinstanzlich wegen der gleichen Tat zweimal Verurteilter noch noch immer da ist. Der ja sowieso nur das Virus ist. Der Wirt ist doch ganz woanders, oder? Wo es auch scheißegal ist, welcher dieser Leute da ist, denn sie sind ja alle gleich.

Diese Leute haben dunkle Masse aus dir gemacht, das weißt du jetzt. Und du denkst dir, sie sind eine Wucherung und die ist nicht gutartig. Und du denkst dir, es muss doch irgendwas helfen. Denn sie wuchern ja auch in dir, du kommst ihnen ja nicht aus.

Denn dieses Gewächs wächst ja innen und außen. Dort wo sie sind und dort, wo sie gewählt werden. Dort, wo alles zerstört wird und dort, wo man die Zerstörung feierlich besäuft. Und du denkst dir, wie kann man sich nur selbst vernichten wollen, wieso wählt die noch einer. Und dann kommt auch hier wieder die immer gleiche Antwort.

Sie können nicht und sie wollen es nicht verstehen. Oder beides. Und du denkst dir, können ist wahrscheinlich ausgeprägter hier und du sagst dir, ja, es stimmt, anderswo sind sie wirklich offener, kritischer, gescheiter als hier.

Und dann denkst du dir, es stimmt ja, du brauchst gar nicht mehr ankämpfen dagegen in Oberösterreich oder Salzburg oder wo auch immer. Es stimmt ja. Du brauchst dich mit denen aus den anderen Bundesländern gar nicht herumschlagen. Es stimmt ja, was sie sagen.

Klar, geht es dir wahnsinnig auf die Eier, dass sie dich gleich mal vorbeugend dumm anschauen. Und du denkst dir, ihr seid ja keinen Deut besser als wir. Ihr seid ja auch "Kärntner". Aber, wenn du dann mit ihnen redest, merkst du, sie haben großteils recht, dass sie misstrauisch gegenüber Kärnten sind, dass sie keinen Fuß mehr in dieses Land setzen wollen.

Sie haben Argumente und all das, was da verbrochen wurde, das aufzuzählen keinen Sinn mehr macht, ist ihnen zu viel. Viel zu viel. Und dein anfängliches Suchen nach Argumenten lässt nach, denn du merkst, es bringt nichts. Sie beschmutzen nicht dich. Sie beschmutzen auch nicht dein Land. Denn sie müssen es nicht mehr tun, weil diese Leute dein Land schon bis zum Hals hoch beschmutzt haben.

Und du verzweifelst immer mehr und denkst dir, Gottseidank ist mein Geist schon anderswo. Und du weißt natürlich, dass das eine Schutzbehauptung ist. Aber du weißt auch, dass du nur mehr hier sein kannst, indem du weg bist. Anders geht es nicht mehr, das weißt du.

Und du denkst dir, sie werden die nächsten Wahlen wieder gewinnen. Denn du weißt, sie werden die Knackwürste, die gestohlenen, wieder raushängen und sie werden sie riechen, die Leute, und sie werden wieder zubeißen. Und du denkst dir, die, die zubeißen, die, die diese Leute wählen, die werden ja auch zu diesen Leuten.

Und du denkst weiter und fragst dich, wann hat das ein Ende. Und du sagst dir, es wird nie ein Ende haben. Denn diese Leute sind nur die schlimmste Sorte einer Art, die in Wahrheit nur von sich selbst befangen ist - und so sind auch die Wähler.

Und du hörst etwas, was du nie glauben wolltest. Du hörst deine Eltern sagen, alles die gleiche Brut. Und du hörst deine Großeltern sagen, alles die gleiche Brut. Und du hörst dich sagen, ihr spinnt ja, ihr alten Trottel. Alles kann man ändern, schleuderst du ihnen zu.

Und heute hörst du dich denken, nichts kannst du ändern, wenn nicht über das Danach nachgedacht wird von allen. Und du schämst dich, weil du dich selbst in einen alten Trottel verwandelt hast. Und du sehnst dich nach der Zeit, in der du die Alten für Trottel gehalten hast. Und du spürst, wie die Verbitterung auch dich anfällt. Und wie du dich noch wehrst. Noch.

Und du weißt, es geht überhaupt nichts, wenn nicht alle zusammenhalten. Und du weißt, es wird überhaupt nichts gehen, weil keiner diese Frage hört, die leise in ihm drin ist: Was kommt danach? Danach, wenn dieses System, das ja schon längst zusammengebrochen ist und in dessen Trümmern wir nach Essbarem suchen, weg sein wird. Was kommt danach? Und gleichzeitig weißt du, du hast auch keine Antwort darauf. Und du weißt, du willst nicht mal mehr daran arbeiten. Denn du weißt, du bist geistig schon längst jenseits der verlogenen Grenze. (Franz Miklautz, Leserkommentar, derStandard.at, 18.7.2012)