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Aus den Toxinen von Gifttieren werden bereits seit über 100 Jahren Medikamente entwickelt.

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Helmut Kubista vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien forscht mit Tiergiften.

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Atemnot, gelähmte Gliedmaßen oder innere Blutungen: Das Gift von Tieren kann schwere bis tödliche Reaktionen beim Menschen hervorrufen. Und heilen. Helmut Kubista vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der Medizinischen Universität Wien forscht mit Tiergiften, um damit Medikamente zu entwickeln. So können etwa Toxine, die kombiniert eine tödliche Wirkung haben, bei der Diagnose und Bekämpfung von Krankheiten eingesetzt werden.

derStandard.at: Es gibt in der Natur über 100.000 Gifttierarten, die unterschiedliche toxische Substanzen produzieren. Auf welche Arten entstehen diese Gifte?

Kubista: Bei manchen Gifttieren stellen Mikroorganismen das Gift her. Das ist zum Beispiel beim Kugelfisch der Fall. Der Fisch wird von den Mikroorganismen besiedelt, die das Gift dann in seinen Organen oder der Haut anreichern. Deshalb ist es auch so, dass Kugelfische, die im Aquarium gezüchtet werden, ungiftig sind, weil ihnen diese Mikroorganismen fehlen. 

Pfeilgiftfrösche, die ihr Gift über die Haut absondern, nehmen das Gift über die Nahrung auf. Sie fressen Ameisen, die eine Vorstufe des Gifts in einer kleinen Konzentration in sich tragen. Die Frösche nehmen es auf, reichern es an, bauen es um und werden hochtoxisch. Schlangen, Spinnen oder Skorpione produzieren ihr Gift über Drüsen. Giftdrüsen sind eigentlich Weiterentwicklungen der Speicheldrüse und die Toxine eine Weiterentwicklungen der Speichelenzyme. Dabei zersetzen sie nicht nur die Beute, sondern haben zum Beispiel auch eine direkte Wirkung auf das Nervensystem. 

derStandard.at: Wie wirken die unterschiedlichen Gifte auf den Körper von Menschen?

Kubista: Auch da gibt es verschiedene Gruppen. Ein Teil der Gifte hemmt oder moduliert die Ionenkanäle. Das sind Poren in Zellen, durch die sich geladene Teilchen bewegen können. Jeder Befehl zu einer Bewegung löst ein elektrisches Signal aus, das zur Muskulatur läuft. Dabei müssen sich die Ionenkanäle öffnen und schließen. Das Gift verstopft die Poren und löst so eine Lähmung aus. So wirken viele Schlangengifte, vor allem von Giftnattern aber auch Spinnengifte oder Kegelschneckentoxine. 

Eine andere große Gruppe von Toxinen hat Auswirkungen auf die Blutgerinnung. Dabei wird das Blut entweder ungerinnbar oder gerinnt verstärkt. Es gibt auch Toxine, die bewirken, dass sich die roten Blutkörperchen auflösen oder sie machen die Gefäße selbst löchrig. Es gibt auch Gifte, die generell das Wachstum von Zellen hemmen. Diese wirken oft auf die DNA. Dadurch können Konkurrenten in der Natur nicht mehr wachsen und verschwinden aus dem Lebensraum des Gifttieres. Aber gerade letztgenannte Gifte werden in der Medizin bei der Krebstherapie eingesetzt. Das Medikament Yondelis ist bereits zugelassen und kann verhindern, dass sich manche Krebszellen vermehren. 

derStandard.at: Für wie viele dieser Gifte gibt es bereits Gegengifte? Gibt es etwa Vergiftungen, die nicht behandelt werden können?

Kubista: Gegengifte müssen sich rentieren. Deshalb wird zuerst an den Tieren geforscht, die die meisten Giftunfälle verursachen. Für Schlangen sind bereits etliche Gegengifte entwickelt worden. Die Gegengifte basieren auf dem Prinzip einer akuten Impfung. Die Antikörper entwickeln sich nicht langsam, sondern werden direkt injiziert. 

In Immunreaktionen können sich Antikörper allerdings nur gegen Eiweißstoffe bilden. Pfeilgiftfrösche besitzen allerdings Alkaloide, für die zwar schon an einem Gegengift geforscht wird, allerdings noch keines am Markt ist. Das gleiche gilt für Kegelschnecken, die immer wieder Taucher vergiften.

derStandard.at: Sie haben bereits zuvor erwähnt, dass Gifte in der therapeutischen Behandlung von Krankheiten eine Rolle spielen. Seit dem 19. Jahrhundert und der Entdeckung des Hirudin (Gift des Blutegels) wird auf diesem Gebiet geforscht. Wie weit ist man bereits gekommen?

Kubista: In diesem Gebiet hat sich viel getan und es wird viel geforscht. Allerdings eignen sich nicht alle Toxine für den therapeutischen Einsatz. Wahrscheinlich wird von 100.000 getesteten Substanzen schlussendlich nur eine als Medikament zugelassen. Auch für Tiergifte gilt dasselbe Zulassungsprozedere wie für andere Medikamente. Es muss unter anderem erwiesen sein, dass es an gesunden Patienten sicher ist, bei erkrankten Patienten die gewünschte Wirkung hat oder die Nebenwirkungen gering sind. 

Es gibt einige Erfolgsgeschichten aber auch viel mehr Enttäuschungen, wo Geld verloren wurde. Bei einigen Substanzen wie Hirudin hat man anfangs die pure Substanz des Egels verwendet. Sie wurde eingesetzt, um das Blut ungerinnbar zu machen, beispielsweise bei Thrombosen. Dabei gab es allerdings viele Nebenwirkungen. Dann kam ein neues Präparat und in der Zwischenzeit kann man Hirudin molekulartechnisch herstellen und verändern. So ist es sicherer geworden.

derStandard.at: Der Einsatz von Tiergiften in der Krebstherapie wurde bereits erwähnt. In welchen anderen Bereichen werden Tiergifte zur therapeutischen Behandlung eingesetzt?

Kubista: In der Schmerztherapie wird etwa Ziconotid eingesetzt, das aus dem Gift der Kegelschnecken gewonnen wird. Es wirkt auf die Ionenkanäle und verstopft sie. Das wirkt schmerzstillend und ist stärker als Morphium. Die Wirkung ist so stark, dass die Substanz sehr gezielt eingesetzt werden muss, sonst würde sie den ganzen Körper lähmen. Deshalb setzt man über einen Schlauch kleine Pumpen ins Rückenmark ein. So ein starkes Schmerzmittel kommt allerdings nicht bei Kopfweh zum Einsatz, sondern wird Krebspatienten im Endstadium verabreicht.

Bei Diabetes wird das Gift einer Krustenechse, Exenatid, eingesetzt. Das ist ein Eiweißstoff, der einem Stoff in unserem Körper sehr ähnlich ist, der für die Aktivierung der Bauchspeicheldrüse und die Insulinfreisetzung zuständig ist. Exenatid wird im Körper auch nur langsam abgebaut.

derStandard.at: Wie werden diese Gifte gewonnen? Werden Skorpione in der Wüste "gemolken" oder geschieht das bereits alles im Labor?

Kubista: Es kommt nur noch selten vor, dass Menschen in die Wüste oder in den Dschungel reisen, um nach neuen Substanzen zu suchen. Von so vielen Spinnen, Schlangen und Kegelschnecken hat man Venome (Anm: der gesamte Giftcocktail eines Tieres)aber erst wenige Toxine charakterisiert. Das vorhandene Repertoire ist schon so üppig, dass man nicht nach neuen Tieren suchen muss. Zum Beispiel wurden erst etwa 0,2 Prozent der Kegelschneckenvenome erforscht. Früher hat man auch in die Natur eingegriffen, um die Gifttiere zu entnehmen. Heute wird das alles molekularbiologisch gemacht. Wenn man das Toxin kennt, dann kann man das synthetisch herstellen. 

derStandard.at: Welche Vorteile haben Tiergifte im Kampf gegen Krankheiten?

Kubista: Ich würde keinen generellen Vorteil sehen. Es ist eine Art, Wirkstoffe zu finden. Dabei hat die Natur allerdings evolutionsbedingt einen Vorsprung. Sie hat Strukturen entwickelt, die sehr spezifisch wirken können. Davon kann man sich sehr viel abschauen und findet wahrscheinlich schneller neue Prinzipien, wie Wirkungen erzielt werden können. Deshalb sollte man auf diese Forschung nicht verzichten. (Bianca Blei, derStandard.at, 20.7.2012)