Während die Beschneidung von Mädchen als FGM (Female Genital Mutilation) bezeichnet und international verurteilt wird, ist die Beschneidung von Buben noch salonfähig und in vielen Ländern gängige Praxis.

Urteil in Köln

Das Landesgericht Köln hat unlängst ein Urteil gefällt, nachdem die Beschneidung von Buben ohne unmittelbare medizinische Notwendigkeit auch mit Einwilligung der Eltern ein Körperverletzung darstellt. Man möchte meinen, dass eigentlich alle mit dem Verbot, ein Kind nicht verstümmeln zu dürfen, einverstanden sein sollten. Aber es gibt dennoch Gegenwehr, vor allem aus verschiedenen religiösen Lagern.

Dass das Urteil eine "große Einmischung in die Religion" darstellt, bedauerte Fuat Samac, Chef der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, unlängst im Standard.

Gott sei Dank gibt es aber bei uns eine Trennung von Kirche und Staat. Die Gesetzgebung erfolgt durch demokratisch gewählte Vertreter. Die so entstandenen Gesetze sind für alle Mitglieder der Gesellschaft bindend (Mit Abstrichen, zugegeben).

Wozu eigentlich Beschneidung?

Abgesehen von religiösen Motiven und akuten medizinischen Problemen wie zum Beispiel einer Vorhautverengung gibt es zu dieser Frage einige gängige Antworten:

Weil es hygienischer ist: Der menschliche Körper ist in seiner Gesamtheit ein Hygieneproblem, wenn man sich nicht genügend darum kümmert. In Ländern mit ausreichender Wasser- und Seifeversorgung sollte dies aber kein Argument für einen nicht rückgängig zu machenden chirurgischen Eingriff sein.

Nach dieser Logik müssten wir auch allen Neugeborenen beide Arme amputieren, um Achselgeruch vorzubeugen. Weiterführend empfehle ich zu diesem Thema George Carlin's Beitrag zum menschlichen Immunsystem.

Weil es der Übertragung von Krankheiten vorbeugt: Penis- und Gebärmutterhalskrebs sowie Infektionen mit HIV sind jene Dinge, denen man mit einer Beschneidung vorbeugen können soll – was auch bedingt stimmt.

Unverschnittene Männer haben ein 5-7 mal höheres Risiko auf Peniskrebs, der für etwa ein Prozent aller Krebserkrankungen verantwortlich ist. In absoluten Zahlen sind das 0.9 pro 100.000 Männern.

Davon gehen etwa zwanzig Prozent von der Vorhaut aus, der Rest von Eichel und Schwellkörper. Somit entfallen also 0.2 Prozent aller Krebserkrankungen auf die Vorhaut.

Während Vorhautkrebs nicht unbedingt zu den Top-Killern zu zählen ist, steht Gebärmutterhalskrebs laut Daten der deutschen Krebsgesellschaft immerhin an 12. Stelle aller bösartigen Frauenleiden. Auch Gebärmutterhalskrebs, der wie Peniskrebs durch HPV (Humane Papillomavirus) ausgelöst werden kann, scheint bei Frauen, die mit unbeschnittenen Männern Sex haben, öfter aufzutreten.

Allerdings kommen aber etwa 70 – 85 Prozent allen sexuell aktiven Menschen mindestens einmal im Leben mit HPV in Kontakt. Eine Ansteckung alleine genügt meist nicht für eine Krebserkrankung; es müssen auch andere Risikofaktoren vorhanden sein.

Eine Beschneidung scheint das Risiko von HIV Neuinfektionen tatsächlich zu verringern. So steckten sich einer Studie mit 26.000 Afro-Amerikanern beschnittene Männer, die mit einem HIV-infizierten Partner Sex hatten um 51 Prozent seltener an, als unbeschnittene.

Es scheint also tatsächlich Hinweise darauf zu geben, dass eine Beschneidung das Risiko auf Ansteckung und Übertragung von Bestimmten Krebsarten sowie HIV verringern kann.

Nachdem aber Penis- und Gebärmutterhalskrebs nicht unter die führenden Todesursachen zu zählen sind und auch von unbeschnittenen Männern übertragen werden können, will mit deren Vorbeugung durch eine Vorhaut-Amputation nicht so recht einleuchten – zumal man sich seit einiger Zeit gegen HPV impfen lassen kann. Auch zur Vermeidung von HIV-Infektionen sind eine Minimierung von Risikoverhalten sowie die Verwendung von Kondomen einer Beschneidung der Vorhaut vorzuziehen.

Freude am Sex: Man weiß seit Kurzem, dass tausende Nervenenden in der Vorhaut auslaufen, was sie zu einem der empfindlichsten Teile des männlichen Körpers macht. Ob das tatsächlich die Freude am Sex für Vorhautträger steigert, darüber scheiden sich die Geister. Und nicht nur, weil es an Vergleichswerten mangelt. Es gibt beschnittene Männer, die sich mit so genannten "Restoration Kits" ihre Vorhaut wieder hergestellt haben. Die meisten sprechen von einer Verbesserung des Empfindungsvermögens, andere wiederum nicht. Weiters gehen auch die Meinungen von schon sexuell aktiven Männern, die sich beschneiden ließen, auseinander.

Optischer Eindruck: Na gut.

Beschneidung von Buben und Mädchen

Ist FGM nicht viel schlimmer? Unter FGM versteht man eine Reihe von Praktiken zur rituellen "Reinigung" von jungen Mädchen. In der am wenigsten brutalen Form wird hier die Klitoris eingeschnitten um eine Blutung hervorzurufen, was die Reinigung darstellt.

In den schlimmsten Fällen wird eine völlige Amputation der Klitoris und der Schamlippen mit anschließendem Vernähen der Vulva vorgenommen. Dazwischen ist vieles möglich. Hier steht neben den rituellen Hintergründen auch eine Kontrolle der weiblichen Sexualität im Vordergrund.

FGM kommt nicht nur in Ländern wie Somalia und dem Sudan, sondern auch in westlichen Ländern vor. Bekannt sind vor allem Fälle, wo ein "Besuch bei der Tante" außerhalb von London für Mädchen schon mal mit einer Beschneidung enden kann.

Man kann festhalten, dass manche Fälle von FGM weniger schlimm sind als die männliche Beschneidung, manche sind viel schlimmer. Im Prinzip sind sie aber das gleiche – die Verstümmelung von Genitalien von Säuglingen und kleinen Kindern.

Wieso das Leid, das Mädchen angetan wird zu Recht verurteilt wird, während man bei der Verstümmelung von Buben mit den Achseln zuckt, ist mir ein Rätsel. Es entsteht aber der Eindruck dass es generell eher akzeptabel ist Buben Gewalt anzutun, als Mädchen.

Ich möchte aber gar nicht darüber streiten, ob es jetzt barbarischer ist, einem Mädchen oder einem Buben die Genitalien zu verstümmeln, sondern hervorheben, dass es kategorisch abzulehnen ist, Kinder in Intimberiech zu verletzen.

Selbstbestimmung?

Es gibt in vielen Kulturen Rituale, die der Gesundheit schädlich sein können. So springt man etwa in Vanuatu an einem aus Lianen selbst gemachten Bungeeseil aus luftigen Höhen (zufälligerweise ist hier eine beschnittene Vorhaut eine Teilnahmebedingung), auf den Philippinen lässt man sich zu Ostern gerne mal kreuzigen, manche Hindus stechen sich Haken ins Fleisch und hängen sich daran auf.

Die meisten dieser Dinge fügen sich aber Leute zu, die alt genug sind um theoretisch selbst entscheiden zu können. Theoretisch. Denn ob man, wenn man sich religiöser Doktrin oder anderen gesellschaftlichen Zwängen unterwirft, von freiem Willen sprechen kann, lasse ich dahingestellt.

Aber wenn man schon dabei sein will, dann sollte man wenigstens selber "ja" dazu sagen können. Mich stört, dass Kinder meist verstümmelt werden, bevor sie "nein" sagen können.

Bizarr erscheint in diesem Zusammenhang auch der Einwand des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD), der das Urteil des Kölner Landesgerichtes als einen "eklatanten und unzulässigen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften und in das Elternrecht" bewertet.

Das Recht zur Selbstbestimmung also, das man dazu verwendet, um den eigenen Kindern das Recht auf die körperliche Unversehrtheit, ein Recht das im deutschen Grundgesetz verankert ist, nehmen zu können. Wer sich für so etwas eine Rechtfertigung zurechtbiegen kann, muss schon einige Übung in kreativem Denken haben.

Im Grunde entlarvt der Einwand aber den so gerne verheimlichten Anspruch konservativer religiöser Fanatiker, egal welcher Konfession: jenen nach Konformität und der totalen Unterwürfigkeit der Gläubigen. Führen sie es sich einmal vor Augen: Wenn sie jemandem einreden können, seine eigenen Kinder zu verstümmeln – was können sie ihm dann nicht noch abverlangen? (Michael Krasser, Leserkommentar, derStandard.at, 20.7.2012)