Der Schuss, mit dem die ÖVP-Wahlstrategen die Flucht nach vorne antreten wollten, ist mit einem lustigen "Plopp" nach hinten losgegangen. Ob damit nun schon ein einjähriger Wahlkampf eröffnet ist oder ob es sich nur um die vorzeitige Ergießung fehlgeleiteter Nervosität gehandelt hat, wird sich bald zeigen. Die SPÖ will der Bevölkerung wenigstens den Sommer nicht verderben und erst im Oktober eine Offensive starten. Ihr seit den goldenen Jahren der Kreisky-Ära entfremdete Wähler sollen, wie Geschäftsführer Günther Kräuter im Kurier enthüllte, bewogen werden, wieder "ein Stück des Weges mit der Partei zu gehen".

Das könnte den Eindruck erwecken, die SPÖ wäre noch eine Bewegung - ein Verdacht, den die eher apathisch hingenommene Entwicklung vom aufgeweckten Riesen mit absoluter Mehrheit zum dösenden Sitzriesen mit 29 Prozent entkräftet. Rein zahlenmäßig betrachtet sind die gut 20 Prozent, die ihr seit damals abhandengekommen sind, jene, die seit Jörg Haiders Erscheinen den rechtsextremen Kern der FPÖ als gewichtige Partei erscheinen lassen. Das gilt nicht nur rechnerisch - auch ehemalige SPÖ-Wähler suchten, vernachlässigt, Trost im Populismus, und gingen damit einer Parteiführung voraus, die ihr Heil in der Anbiederung an die Kronen Zeitung sucht.

Dementsprechend niedrig legt sich die SPÖ die Latte. Wenn sie fünf der zwanzig Prozent auf ihre Seite ziehen könnte, wäre man schon zufrieden. In diese Bescheidenheit ist bereits die Hoffnung eingespeist, die FPÖ werde mit der offenen Demonstration ihrer politischen Schamlosigkeit die Wähler diesmal selber vertreiben. Bisher ist diese Rechnung nicht aufgegangen. Mit dem Thema Korruption wird da nicht viel zu holen sein, und auch nicht mit der Strategie, die Blauen der Inkompetenz in Sachen EU zu beschuldigen.

Zu sehr hat sich in der Bevölkerung die Ansicht festgefressen, Korruption gebe es auch in den Koalitionsparteien, und das bissel mehr in FPÖ/FPK werde durch den Unterhaltungswert der Auftritte von blauen beziehungsweise gebräunten Protagonisten aufgewogen, wo die Regierung in der Monotonie des wechselseitigen Blockierens west. Auch jahrelang sich hinziehende Skandale ließen die FPÖ bisher nicht unter 25 Prozent sinken - warum sollte es in den nächsten Monaten geschehen?

Erst müsste sich einiges an der Glaubwürdigkeit ihrer Kritiker ändern. Aber einen Martin Graf in Kenntnis seiner Persönlichkeit und Leistungen erst zum Dritten Nationalratspräsidenten zu wählen und überrascht zu tun, wenn sie sich zu neuer Blüte entfalten, Strache Inkompetenz in Sachen EU vorzuwerfen, aber Dichands EU-Kompetenz beflissen zu honorieren, das wird die Wähler nicht scharenweise von Blau zu Rot treiben.

Wie auch mit wechselseitigen Warnungen vor Rot-Grün beziehungsweise Schwarz-Blau Glaubwürdigkeit nicht zu gewinnen ist. Also verschone man die Wähler damit. Ersteres dürfte sich rechnerisch ohnehin nicht ausgehen, und eine Neuauflage des Schüssel-Haider-Traumas wünscht sich nicht einmal Strache. Da müsste er endlich Verantwortung für die Schurken in seiner Partei übernehmen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 20.7.2012)