Graz/Göttingen - "In Österreich gibt es klare Richtlinien für solche Transplantationen. Das System ist auch anders als in Deutschland", sagte am Freitag der Grazer Transplantationschirurg Florian Iberer zu Manipulationsvorwürfen gegen einen Arzt am Universitätsklinikum Göttingen in Deutschland. Dieser soll angeblich Befunde von Patienten vor Lebertransplantationen so verändert haben, dass diese früher ein Spenderorgan bekamen.

Der größte Unterschied zu Deutschland, so Iberer: "Dort vergibt der Computer Spenderleber-Organe. Bei uns wird das spezifisch für den einzelnen Patienten und nach klaren Richtlinien geplant." In Deutschland erfolge das über den sogenannten MELD-Score. Die von der US-Mayo-Klinik entwickelte Skala gibt einen Punktewert für den Status für sich entwickelndes Leberversagen bzw. für die Dringlichkeit einer Transplantation an. Eingerechnet werden der sogenannte Bilirubinwert, der Zustand der Blutgerinnung und der Nierenfunktionswert. Je höher der Score, desto schlechter ist die Situation des Patienten.

Individuelle Entscheidungen in Österreich

Doch die Sache hat auch eine Kehrseite, der man in Österreich mit individuellen Entscheidungen je nach Situation umgehen will: Hat ein Patient in Deutschland einen hohen MELD-Score, bekommt er auch ein mitunter gar nicht optimal geeignetes Spenderorgan zugewiesen. Das ist die Konsequenz der Automatisierung. Gelänge es also einem Arzt, an den für die MELD-Beurteilung entscheidenden Parameter zu drehen, stiege zwar einerseits die Dringlichkeit, andererseits aber würde auch teilweise unter nicht mehr optimalen Bedingungen transplantiert.

Doppelt so viele Organspender

Iberer: "Bei uns gibt es stattdessen klare Richtlinien, bei denen mehrere Parameter, so auch die Zeit auf der Warteliste und (Virushepatitis-bedingtem Leberversagen, Anm.) die Viruslast, einfließen. Wir transplantieren auch früher als man das in Deutschland tut. Wir haben im Vergleich zu Deutschland doppelt so viele Organspender. Ein Patient mit einem MELD-Score von 35 (je höher, desto schlechter ist die Situation, Anm.) wird in Österreich rund ein halbes Jahr früher transplantiert. Wir haben auch die besseren Ergebnisse."

In Deutschland gibt es im Vergleich zu Österreich einen viel größeren Mangel an Spenderorganen, weil dort bis vor kurzem eine Zustimmungslösung für Organentnahmen bei Hirntoten galt. Das ist Hinterbliebenen nach akuten Ereignissen mit dem Hirntod des Betroffenen nur schwer zuzumuten. Mit einer Neuregelung sollen jetzt die Bürger einmal im Leben gefragt werden, ob sie als Organspender zur Verfügung stehen würden. In Österreich gibt es ein Widerspruchsregister, in das man sich bei Ablehnung eintragen lassen kann.

In Deutschland ist von 2010 auf 2011 die Organspenderrate pro Million Einwohner von einem Wert von 15,5 auf 14,4 gesunken. In Österreich ist vom Jahr 2010 auf 2011 die Rate der gemeldeten verstorbenen Organspender von 22,8 auf 23,2 pro Million Einwohner hingegen etwas angestiegen. Belgien erreichte im Jahr 2011 29,3 Spender pro Million Einwohner, Kroatien sogar 33,6. Der Eurotransplant-Durchschnitt (Niederlande, Luxemburg, Deutschland, Österreich, Slowenien und Kroatien) blieb mit 16,8 Spendern pro Million Einwohnern stabil (2010: 16,9). (APA, 20.7.2012)