Nach Marokko hat jetzt auch Tunesien seinen "Sexskandal". "Ärzte schätzen, dass nur fünf Prozent der tunesischen Mädchen sich keine Sorgen über die Jungfräulichkeit machen. 20 Prozent wären 'echte' Jungfrauen und während drei Viertel der jungen Frauen 'assistierte Jungfrauen' sind", heißt es in dem jüngst erschienenen Buch "Vierges? La nouvelle sexualité des Tunisiennes" (Jungfrauen? Die neue Sexualität der Tunesierinnen) der tunesischen Psychoanalystin Nedra Ben Smail, das für Aufregung sorgt. Drei Viertel der Frauen gingen somit mit einem chirurgisch rekonstruierten Jungfernhäutchen in die Ehe. Der Eingriff soll dafür sorgen, dass die Braut nach der Hochzeitsnacht ihrer Schwiegermutter - wie es die Tradition verlangt - ein blutbeflecktes Bettlaken zum Beweis der unberührten Hochzeit zeigen können. Ben Smail beruft sich auf eine von ihr erhobenen Umfrage unter Ärzten und jungen Frauen.
Der Grund für die Zunahme vorehelicher sexueller Beziehungen sieht die Psychoanalystin in ständig steigenden Heiratsalter. Durchschnittlich geben sich die TunesierInnen mit rund 30 das Ja-Wort. Der erste sexuelle Kontakt fände bei jungen Frauen in einem Alter zwischen 16 und 22 statt. Die Traditionen zwinge die jungen Frauen ein Doppelleben zu führen. In den Jahren an der Universität erlebten sie eine Freiheit, die danach zum Problem werde.
"Alle wissen um die Möglichkeit eines chirurgischen Eingriffs", ist sich Ben Smail sicher. Zwischen umgerechnet 300 und 500 Euro kostet die kleine Operation. Die meisten Kliniken befinden sich in der Hauptstadt Tunis und im südlich gelegenen Sfax. Auch aus dem Ausland sollen, so Recherchen der französischen Presse, junge Muslima anreisen. Viele aus Frankreich, aber auch aus dem benachbarten Libyen.
Während in Tunesiens Öffentlichkeit diese Zahlen von vielen als übertrieben angesehen werden und die Autorin kritisiert wird, haben sich die religiösen Autoritäten längst auf die gesellschaftliche Realität eingestellt. Eine Fatwa, ein religiöser Rechtsspruch, erlaubt die Rekonstruktion des Jungfernhäutchens. "Die Autoritäten haben die Operationen für rechtmäßig erklärt, um den sozialen Zusammenhalt zu wahren. Für die Religiösen, stehen die Werten und die Diskretion, die es verbieten, das Intimleben zu enthüllen, über der Wahrheit", erklärt Ben Smail.