Schräge Optik, raue Sprüche, hohe Quote: Bewohner der WG in der RTL-2-Realsoap "Berlin - Tag & Nacht": Olli und Hanna,

Foto: RTL 2

Giulia und Carlos,

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Fabrizio und JJ.

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Berlin/Wien - Jessica ist auf 180: "Warum machst du jetzt die Musik aus, ey?", schreit sie Dennis an. Dennis zahlt die Miete, deshalb hat er das Sagen: Musik aus. Sofi geht heute nicht zur Arbeit, weil sie auf keinen Fall Nils treffen will. Sie hat ihm am Vorabend "Sachen an den Kopf geworfen", die sie "ziemlich doll" bereut. Sarah müht sich ebenfalls mit Vergangenem: "Wenn Dennis erfährt, dass ich mit Marcel geschlafen habe - der würde mir den Kopf abreißen." Jetzt platzt Marcel der Kragen: "Ich hab' das Gefühl, ich bin in so 'ner Matrix!", brüllt er: "Jeden Morgen die gleiche Scheiße!"

Jeden Abend die gleiche Kost, mögen Unbedarfte meinen - und doch ist alles neu: Zwölf Jahre nach "Big Brother" landet RTL 2 wieder einen Treffer mit "echten Menschen", hat das Fernsehen einen Trashskandal - und die deutsche Bundeshauptstadt womöglich bald ein Imageproblem.

Reichlich tiefe Unterhaltung

Von Montag bis Freitag erleben die WG-Bewohner aus "Berlin - Tag & Nacht" die alltäglichen Komplikationen des Erwachsenwerdens. Aber anders als bei den quirligen Teens der ZDF-Serie "Berlin Berlin" und den endlos ringenden Kids aus "Gute Zeiten, schlechte Zeiten" ist die Spree-Metropole diesmal Kulisse für reichlich tiefe Unterhaltung.

Möglichst authentisch

"Berlin - Tag & Nacht", produziert von Fimpool und seit September 2011 im Programm, folgt der Dramaturgie von Gerichtsshows: Das Drehbuch schreibt die Handlung vage vor, Dialoge sind nicht dezidiert ausformuliert. Die rund 30 Bewohner der WG spielen von Laiendarsteller. Das soll den Eindruck höchstmöglicher Authentizität erwecken. Das funktionierte nicht von Anfang, der Erfolg stellte sich langsam, inzwischen aber umso eindringlicher ein. Mehr als 33 Prozent Marktanteil schafft RTL 2 bei Zusehern bis 29, beim weiblichem Publikum sogar knapp 38 Prozent. Das ist Wirklichkeit gewordener Traum eines jeden Senders: mit minimalem finanziellen Aufwand das Maximum an Publikumsresonanz herauszuholen, noch dazu im als schwierig geltenden Vorabend.

Zugriffe in Web und Social Media

Längst misst sich der Erfolg einer Sendung nicht mehr allein an der Quote. Zwei Millionen gefällt "Berlin - Tag & Nacht" auf Facebook, wo die Darsteller ihren Zirkus weiter aufführen: "Denken denn alle Männer immer nur an Sex?!", postet Sofi. 894 antworteten, mehr als tausend gefällt das. Videos werden täglich rund eine Million Mal abgerufen. Zugriffe in Web und Social Media sind zum wichtigen Faktor avanciert, wenn es darum geht, Werbekunden zu überzeugen. Die lassen sich umso lieber auf geschickt eingefädeltes Product-Placement ein: Eine der Darstellerinnen lutschte etwa monatelang gut sichtbar Tic Tac.

"Likes"-Sammler

Möglichst viele Plattformen zu bespielen kennzeichnet die erfolgreichen Fernsehformate der Gegenwart: In den USA zählen die Italoprolls der Trashshow "Jersey Shore" auf Facebook 18,1 Millionen "Likes", das britische Pendant "The Only Way is Essex" knapp eine Million. In Österreich ist in der Kategorie am ehesten ATV erfolgreich. "Bauer sucht Frau" gefällt 100.000. "Saturday Night Fever", ähnlich den Berlinern angesiedelte Partygeher, sprechen mehr als 70.000 an. Der ORF wehrt sich heftig gegen ein drohendes Facebook-Verbot. Derzeit prüft der Verwaltungsgerichtshof. (Doris Priesching, DER STANDARD, 24.7.2012)