Schon von weitem hebt sich die gut 200 Meter lange, hellgelbe Fassade von der bewaldeten Anhöhe ab. Nahe Horn im Waldviertel liegt das barocke Benediktinerkloster von Altenburg, stiller und weniger beachtet als die Nachbarsstifte in Zwettl und Göttweig, aber nicht weniger respektabel. " Es ist schon ein imposanter Riegel", stellt Andreas Gamerith fest.
Der Kunsthistoriker kennt jeden Winkel der idyllischen Anlage. 1980 in Horn geboren, trat er schon als Achtjähriger den Altenburger Sängerknaben bei und sog das prächtige Ambiente mitsamt der Klosterluft ein. Damals war ihm noch nicht klar, dass ihn die reichhaltigen Fresken hoch über seinem Kopf eine ganze Reihe von Rätseln aufgeben würden.
Als Doktorand und Junior Fellow am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien widmet er sich der Ikonografie im Stift Altenburg, insbesondere jener des bedeutenden Barockmalers Paul Troger, der ab 1730 in Altenburg eine eindrucksvolle Bilderwelt schuf. Diese hob sich vom klösterlichen Wandschmuck der Zeit ab: "In die Konzeption flossen sehr früh aufklärerische Elemente ein", sagt Gamerith. "Troger nahm damit jene Strömungen vorweg, die ab der Mitte des 18. Jahrhunderts das Verhältnis von Staat und Kirche sowie die Bevormundung der Wissenschaft durch die Kirche infrage stellten."
Schrill bis Pastell
Für den Laien sind diese Deutungen auf den ersten Blick kaum erkennbar. In schrillen bis pastelligen Farben präsentieren sich die weitläufigen Räumlichkeiten des Stifts, in den Kuppeln der Kirche und der Bibliothek tummeln sich haufenweise irdische, himmlische und fantastische Wesen. Doch auch barocken Gästen wurden die aufklärerischen Tendenzen nur verschlüsselt dargeboten, wie Gamerith betont: "Es ist ein kluges Rätselspiel für Gelehrte. Es finden sich immer wieder Zitate, die nur belesene Besucher erkannt haben können."
Hinter den ausgeklügelten Bilderrätseln steckte der eigenwillige Abt Placidus Much, der von 1715 bis zu seinem Tod 1756 das Stift leitete und es in dieser Zeit von einem finanziell und baulich maroden Betrieb in seine ganz persönliche künstlerische Spielwiese umkrempelte. So legen es jedenfalls die wenigen Fakten nahe, die über den als Weinbauernsohn geborenen Abt zu finden sind.
"Much hat die Neugestaltung offenbar aus seinem eigenen Spleen heraus betrieben", sagt Gamerith über den kunstsinnigen Abt, der sich im Lauf der Jahre immer mehr vom Konvent isolierte. Für die Umsetzung seiner Ideen heuerte Much den namhaften Maler Paul Troger an - der in Eimern des edlen "Nußberger" Weines bezahlt wurde. Entsprechende Verträge sind noch bis 26. Oktober im Stift in der Ausstellung Troger. Blau ist keine Kunst zu sehen, die Gamerith kuratiert hat.
Das Herzstück der 14 Troger- Werke ist das Kuppelfresko der Stiftskirche: Die Vision des Johannes - eines der bedeutendsten Barockfresken Mitteleuropas. Gemeinsam mit der kleineren Kuppel über dem Altar bildet das Ensemble den in der Luft liegenden Diskurs um das Verhältnis von Wissenschaft und Religion ab.
"Schon der Grundriss verbindet das geozentrische mit dem heliozentrischen Weltbild", erklärt Gamerith. Die ovale Form der Hauptkuppel steht für das heliozentrische Weltbild, die vorherrschenden Farben Gelb, Rot und Blau verweisen jedoch auf den idealen Farbklang der Antike. In der runden Kuppel, die das geozentrische Weltbild verkörpert, finden sich hingegen die Farben des modernen Newton'schen Spektrums.
Je nach der Position des Betrachters werden andere Szenen sichtbar: etwa die hochschwangere Maria, die hier für die Körperlichkeit und das Hervorbringen von Neuem steht, im Gegensatz zur üblichen Idee der unveränderlich Unbefleckten. Oder ein sechs Meter langer wasserspeiender Drache, der einem Fantasy-Epos entsprungen scheint.
Poesie in Bildern
Gamerith macht während der Stiftsführung auch auf aufeinander abgestimmte Formen in Fresken und Bildern aufmerksam: die gleiche Körperhaltung verschiedener Figuren, die Wiederkehr bestimmter Farben und Gesten - genannt "visual rhyming", eine Art Poesie in Bildern. Immer wieder tauchen auch Figuren auf, mit denen sich der Betrachter identifizieren kann: "Sie ermöglichen einen direkten Einstieg ins Bild. Das zeigt, dass das Individuum ernst genommen wird", sagt Gamerith.
Der Kunsthistoriker, der als Countertenor singt und mit historischen Maltechniken experimentiert, um das Entstehen eines Freskos zu rekonstruieren, braucht oft detektivischen Spürsinn bei seiner Arbeit: So hat er unverständliche Schriftzüge und allegorische Spielereien dechiffriert und sich so einiges zusammengereimt. Genauso über die Stiftsbibliothek, die nach dem Vorbild des Raffael-Gemäldes Philosophenschule von Athen entstand.
Einige Rätsel sind noch ungelöst: etwa, was es mit einem winzigen Geheimraum neben der Prälatur auf sich hat oder warum der Abt darauf verzichtete, in der Gruft unter der grotesk bemalten Krypta begraben zu werden. Oder wer das "chinesische Zimmer" bis zum Boden mit schaurigen Fabelwesen zierte. "Das gäbe Stoff für einen Roman", sagt Gamerith. Vorerst wird er, finanziert durch ein IFK-Auslandsstipendium, in Rom weiterforschen - dort dürften schon die Altenburger Künstler einige Inspiration gefunden haben. Er ist sich sicher: "Es bleibt spannend." (Karin Krichmayr, DER STANDARD, 25.7.2012)