Drei von sechs Empörten im STANDARD-Gespräch: Jonathan Kohn (links), Awi Lifshitz und Reuven Rennert.

Foto: Der Standard/Christian Fischer

Allein dass sich im Lauf des Gesprächs weitere Männer aus der jüdischen Gemeinde dem Vierertisch anschließen, zeigt die emotionale Tragweite der Beschneidungsdebatte.

"Ich bin 44 Jahre alt, führe ein glückliches Leben, und auf einmal erfahre ich, ich sei genitalverstümmelt?", fragt sich Daniel Kapp, Vorstandsmitglied der Österreichisch-Iraelischen Gesellschaft. "Es ist eine antireligiöse, populistische Diskussion, die von nichtbeschnittenen, nichtjüdischen Männern geführt wird."

Für Awi Lifshitz, der, wie die anderen auch, seine beiden Söhne beschneiden ließ, ist es ein emotionales Thema. Er könne die Unsicherheit nachvollziehen, interpretiere sie aber als "Angst vor der Fremdartigkeit".

Beschneidung als Grundbaustein des Glaubens

Für alle sei es unvorstellbar, das Ritual durch einen symbolischen Akt zu ersetzen. Lifshitz: "Das Judentum bewahrt seine Tradition. Die Beschneidung ist der Grundbaustein unseres Glaubens, die Aufnahme in die Gemeinschaft."

Nach wenigen Tagen sei der Eingriff völlig verheilt, erzählen die sechs Väter. Ihre Söhne hätten nur wenige Sekunden geweint, als der Beschneider - der "Mohel" - seine Arbeit gemacht habe. "Dass die deutsche Debatte sofort von Österreich übernommen wurde, zeigt den großen Willen, sich bei gesellschaftspolitischen Themen stark an Deutschland zu orientieren", ortet Reuven Rennert.

Verbot würde Beschneidungstourismus erzeugen

Es sei skandalös, dass vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Geschichte des Judentums in Österreich plötzlich eine Debatte über dessen Integration geführt wird. "Das ist eine strategische Entscheidung von Österreich, jüdisches Leben in seiner Vollheit zuzulassen."

"Religion wird zunehmend aus unserer Gesellschaft gedrängt, es geht hier doch gar nicht um die Frage der körperlichen Unversehrtheit des Kindes, sondern ob Eltern eine Religionszugehörigkeit aufzwingen dürfen", sagt Jonathan Kohn. "Aber die Taufe symbolisiert das Gleiche."

Dass es tatsächlich zu einem Verbot religiöser Beschneidung in Österreich kommen könnte, will keiner von ihnen glauben. "Es würde den Brauch auf das Schlimmste kriminalisieren und einen Beschneidungstourismus erzeugen", meint Lifshitz. (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 28./29.7.2012)