Pflegerin Sherima Cramer aus Sri Lanka.

Foto: Andreas Hackl

Ständig sieht man auf Israels Straßen scheinbare Familienkonstellationen, die auf den ersten Blick verwirren: sehr alte Menschen, begleitet von Frauen und Männern aus Ländern wie den Philippinen, Nepal und Sri Lanka. Dabei handelt es sich nicht etwa um die alltägliche Erscheinung einer multikulturellen Gesellschaft, sondern um Zweckfamilien aus Gastarbeiterinnen und israelischen Pflegefällen. Rund 55.000 ausländische Pflegekräfte arbeiten in Israel. Meist sind sie 24 Stunden pro Tag bei ihren Patienten untergebracht, die zugleich ihre Arbeit- und Geldgeber sind. 

Eine problematische Gesetzeslage und finanzieller Druck zwingen die Pflegerinnen oft in die extreme Abhängigkeit. NGOs sprechen sogar von "moderner Sklaverei".

Eine dieser Frauen ist Sherima Cramer aus Sri Lanka. Vor fünf Jahren hat sie ihr ganzes Hab und Gut zusammengekratzt, ihren Schmuck bei der Bank hinterlegt und einer Agentur in Sri Lanka 7.000 US-Dollar bezahlt, damit diese ihre legale Einwanderung nach Israel als Pflegekraft organisiert.

"Ich habe mich dafür entschieden, weil ich meinen Kindern eine gute Bildung ermöglichen will", sagt die alleinerziehende Mutter in einem Vorort von Tel Aviv, wo sie seit einiger Zeit arbeitet. Ihr neuer Arbeitgeber sei verhältnismäßig nett, sagt sie.

Trotzdem habe sie auch Angst davor unter Druck gesetzt zu werden. Denn wie viele andere Kolleginnen weiß sie, dass ihre Aufenthaltsgenehmigung von der Zufriedenheit ihres Patienten und Arbeitgebers abhängt. "Die Leute hier glauben, wir machen alles für Geld. Aber was wir wirklich brauchen, ist mehr Freiheit", sagt sie. Und damit spricht sie wohl auch für viele andere Pflegekräfte, die aus Angst, ihren Job zu verlieren, nahezu alles akzeptieren.

"Wenn dich dein Arbeitgeber in den ersten zwei Jahren schlägt, wirst du dich nicht beschweren, weil du alles tun musst, um diesen ersten Job zu behalten und die Schulden bei der Agentur zu begleichen", sagt Idit Lebovich von der israelischen Arbeitsrechtsorganisation Kav La-Oved. "Die Agenturen sind das größte Problem."

Sherima Cramer hat zwei Jahre gebraucht, bis sie endlich ihre Schulden bei der Agentur in Sri Lanka begleichen konnte. Obwohl sie wie alle anderen ausländischen Pflegekräfte einen Arbeitsvertrag hat, der auf eine Arbeitsleistung von 40 Stunden pro Woche ausgerichtet ist, müsste sie eigentlich für 24 Stunden pro Tag bezahlt werden, meint Sherima. "Ich arbeite den ganzen Tag. Eigentlich bin ich nur für einen Patienten angestellt. Doch seine Frau nimmt mich genauso in Anspruch. Oft will sie spät am Abend noch geduscht werden. Ist das keine Arbeit?", meint sie. Dennoch sei sie zufrieden. Anderen gehe es viel schlechter. "Immerhin darf ich am Wochenende außer Haus."

Sherima wird entsprechend dem Mindestlohn mit rund 4,5 Euro pro Stunde bezahlt. Und das pauschal für acht Stunden am Tag, egal wie lange sie arbeitet. Vom Monatslohn werden noch Verpflegungskosten und Unterhaltsgeld abgezogen. Die Maximalabzüge sind per Gesetz festgelegt. Und so wohnt Sherima eigentlich billiger als andere. Doch die Abhängigkeit, die damit einhergeht, wird für Pflegekräfte leicht zum Problem.

"Sklavengesetz"

Das israelische Innenministerium vergibt nur für jene Pflegekräfte Arbeitsvisa, die einen neuen Job innerhalb eines Gesamtaufenthalts von vier Jahren und drei Monaten annehmen. Behält die Pflegekraft einen Arbeitgeber, der sie schon vor Ablaufen der Frist angestellt hat, darf sie theoretisch auch beliebig lange darüber hinaus bleiben. Doch sobald sie den Job verliert, ist auch die Aufenthaltserlaubnis weg. Deshalb sind die Migrantinnen außerhalb dieser Frist besonders anfällig für Ausbeutung. Sherima Cramer hat diese Grenze auch schon überschritten. Trotzdem will sie zumindest noch zwei Jahre in Israel bleiben. Nur so könne sie die Schule für ihre Kinder in Sri Lanka bezahlen, die in der Zwischenzeit bei Verwandten leben.

"Ich habe Glück. Andere weniger", sagt sie. Beispielsweise kenne sie eine Frau aus ihrer Kirchengemeinschaft, deren Arbeitgeber den Lohn auf 450 Euro im Monat gekürzt hat, nachdem sie die gesetzliche Frist, innerhalb der ein Jobwechsel erlaubt ist, überschritten hatte. "Sie arbeitet rund um die Uhr und darf fast nie das Haus verlassen. Doch um bleiben zu dürfen, muss sie das akzeptieren", meint Sherima.

Nun droht ein neues Gesetz die Lage noch problematischer zu machen. Manche nennen es sogar "Sklavengesetz" . Es ist schon im Mai 2011 im Parlament abgesegnet worden und könnte bald Realität werden.

Der Gesetzesvorschlag gibt dem Innenministerium die Möglichkeit, die Anzahl der erlaubten Jobwechsel für ausländische Pflegekräfte zu beschränken. Vorgesehen sind maximal drei Jobwechsel innerhalb der Frist. Verliert man den dritten Arbeitgeber, verliert man auch das Visum. Außerdem begrenzt das Gesetz die Arbeitsmöglichkeiten der Pflegekräfte auf bestimmte Regionen und Bereiche. Und das, sagt Kav La-Oved, beschränke wiederum die Freiheit und Menschenrechte der Migranten massiv.

"Die Pflegekräfte werden als Objekte behandelt. Wenn sie nicht machen, was du als Arbeitgeber willst, kannst du sie einfach hinausschmeißen und dir die Nächste in der Warteliste nehmen. Die einen werden dann abgeschoben, die neuen eingeflogen", sagt Idit Lebovich.

Sabin Haddad, die Sprecherin der israelischen Einwanderungsbehörde, sieht das Gesetz bereits kurz vor der Anwendung. Nur mehr die letzten Details müssten angepasst werden, sagt sie. Haddad stimmt der Kritik der NGOs nicht zu und verteidigt die neuen Regelungen. Es sei schlichtweg notwendig gewesen, gesetzliche Schranken einzuführen.

"Wenn jemand von den Philippinen hierherkommt und einen schwierigen Pflegefall bekommt, kann sie den Job einfach wieder hinschmeißen und sich einen neuen suchen", sagt Haddad. Weil dieses Verhalten keine Seltenheit gewesen sei, sei die Beschränkung auf drei Jobwechsel nötig. Die Notwendigkeit der geografischen Einschränkung für Pflegekräfte erklärt sie folgendermaßen: "Die Arbeiter wollen nicht in die Peripherie gehen. Deshalb beschränkt das Gesetz ihren Einsatzort jetzt im Vorhinein."

Idit Lebovich meint jedoch, dass es die freie Wahl der Pflegekräfte bleiben müsse, wo und mit wem sie arbeiten wollen. Städte wie Tel Aviv seien eben bei Migranten genauso wie bei Israelis beliebt. Dort gibt es auch die nötigen Netzwerke, von denen Neuankömmlinge oft abhängig sind.

Pflegekräfte wurden ursprünglich in großer Zahl für bedürftige Armeeveteranen nach Israel gebracht. Doch mehr und mehr forderte auch die restliche Bevölkerungen billige Pflege, so dass unter einem formalisierten Einwanderungsregime die Zahl der Gastarbeiter im Pflegebereich zwischen 1996 und 2009 von etwa 8.000 auf 57.000 anstieg.

Wie eine Familie?

Doch es wäre falsch, die Arbeit der Pflegekräfte auf Probleme zu reduzieren, sagt Esther Iecovich, Professorin für Sozialarbeit an der Ben-Gurion-Universität in Beer Sheva. In ihrer Forschung hat sie sich intensiv mit den Beziehungen zwischen Pflegekräften und Patienten auseinandergesetzt. "Trotz massiver Sprachbarrieren entwickeln viele eine Sprache von Respekt und gegenseitiger Zuneigung", sagt sie.

Probleme gebe es vor allem bei schwierigen Patienten. Denn die meisten Pflegekräfte aus dem Ausland seien nicht besonders gut ausgebildet, sagt Iecovich. Das führe schnell zu Überforderung und einem Jobwechsel.

Sherima Cramer sieht auch viel Positives im engen Kontakt zu ihrem Arbeitgeber, auch wenn sie seine Ehefrau nicht mag. "Irgendwie ist es wie in einer Familie. Ich glaube, ich sollte glücklich sein."

Während die 55.000 Pflegekräfte weiterhin in einer Zweckehe mit den Alten und Kranken Israels leben, sofern sie die Frist nicht überschreiten, hat auch die israelische Rhetorik gegenüber Migranten und Asylwerbern immer wieder für Kritik gesorgt. Anstatt "Asylwerber" oder "Migranten" werden viele Afrikaner, die über Israels Grenze im Süden einwandern wollen, von der Regierung und den Medien "Eindringlinge" genannt. (Andreas Hackl, derStandard.at, 31.7.2012)