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Angezogen, und doch ein bisschen nackt: Der Monokini ist Rudi Gernreichs bekannteste "Erfindung". Hier Models 1964 bei einem Fotoshoot in einem Hotel in Hollywood.

Foto: Bettmann/Corbis

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Gernreich vor zwei seiner Unisex-Modelle.

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"Mir geht es nicht darum, die Mode umzubringen. Sie ist längst am Ende. Das Wort hat einfach keine Bedeutung mehr. Es steht für alle falschen Werte. Snobismus, Reichtum, eine kleine Gruppe. Mode ist nicht sozial. Sie isoliert sich von den Massen." Rudi Gernreich war bekannt für seine radikalen Entwürfe und auch dafür, dass er für seine Auffassung zeitgemäßer Kleidung die passenden Worte fand. Die Vorstellung einer Mode, die Saison für Saison die richtigen Silhouetten, Rocklängen oder Farbkombinationen vorgibt, war aus Gernreichs Sicht obsolet geworden.

Sein Statement stammt aus einem Interview, das der am 8. August 1922 in Wien geborene Modemacher im Jahr 1970 der Los Angeles Times gegeben hatte. Anlass für den Bericht war sein Unisex-Projekt, das Gernreich im selben Jahr auf der Weltausstellung in Osaka präsentiert hatte: Zwei Models, eine Frau und ein Mann, waren beide kahlrasiert worden, Kopf- wie Körperhaare entfernt.

Gernreich hatte für das androgyne Paar eine Kollektion von Kleidungsstücken entworfen, die von Männern und Frauen gleichermaßen getragen werden sollte. Und der Weltöffentlichkeit wurde ein Mann im Bikini vorgeführt, oder Mann und Frau jeweils nur mit Miniröcken bekleidet. Für die kalte Jahreszeit hatte Gernreich Strick-Overalls vorgesehen, die bis zur Nase hochgezogen wurden. Kontaktlinsen sollten vor schädlichen Umwelteinflüssen, Haarhelme von Vidal Sassoon vor der Kälte schützen und sogenannte "Time-Pieces" die Menschen an die Datenübertragung einer technisierten Umwelt anschließen.

Für Gernreich waren Kleider keine modischen Statements, nicht bloß Zeichen für Luxus und soziale Unterschiede, die Menschen der modernen Gegenwart benötigen vielmehr eine adäquate Ausrüstung. Kleider sollten keine modische Realitätsflucht anbieten, sondern sind vielmehr als zeitgemäße Medien eines beliebigen wie notwendigen Identitätswechsels zu verstehen. Ein solcher Selbstentwurf wollte sich gleichermaßen über soziale Grenzen hinwegsetzen wie er Geschlechterrollen und -klischees hinter sich ließ.

Inspiriert vom Roten Wien

 

Rudi Gernreichs unbedingte Modernität war inspiriert vom Roten Wien der 1920er-Jahre, aus dem er 1938 in die USA flüchten musste. Bekleidung sollte nicht durch gesellschaftliche Formalitäten und Anlässe vorgegeben sein, sondern ausschließlich der persönlichen Freiheit dienen - "Public privacy" war das Motto. Die Weltöffentlichkeit war spätestens 1964 auf ihn aufmerksam geworden, als er seinen legendären Oben-ohne-Badeanzug präsentierte. Dem Designer ging es freilich nie darum, halbnackte Frauen zu skandalisieren. Der Monokini verstand sich als Kritik an der modischen Sanduhr-Silhouette der 1950er-Jahre, die alle natürlichen weiblichen Umrisse in absurde Formen zwang.

Gernreich verfolgte seine Konzepte in aller Konsequenz. 1974 meldete er den Tanga zum Patent an, heute ein selbstverständliches Kleidungsstück, damals ein Thema der Skandalpresse. Gernreich ging es dabei nie nur um eine markante Aussage, sondern letztendlich immer auch darum, Kleider zu produzieren, die tragbar waren, die unauffällig in dem Sinn blieben, dass sie eine Trägerin nie zur Puppe degradieren sollten.

Gernreichs Alltagskleidung ist auch heute noch erstaunlich zeitgemäß, wohl auch deswegen, weil er eben Kleider und nie Mode meinte. Er hatte die Freiheitsgefühle einer Wiener Moderne mit der Bequemlichkeit amerikanischer Sportswear verbunden und so wesentlich dazu beigetragen, Mode zu demokratisieren.

Freiheitsbedürfnis einer Generation

Die Reaktionen auf Gernreichs Ideen waren zugleich der beste Beweis dafür, dass der Designer immer wieder gesellschaftliche Tabus und traditionelle Wertvorstellungen provokant herausforderte. Er machte deutlich, welchen Stellenwert Kleidung und die Bedeutung, die sie transportiert, in einer Gesellschaft einnehmen. Wenn Rudi Gernreich Kleidung als Ausrüstung, als funktionale Bekleidung für den urbanen Überlebenskampf beschreibt, dann meinte er damit nicht, dass Kleider nur dazu da sein sollten zu wärmen und zu schützen. Die Funktion, die er anspricht, ist zwar auch notwendig, sie schützt aber nicht vor Kälte oder Hitze, sondern bewahrt uns, drastisch formuliert, vor einem sozialen Tod.

Rudi Gernreich hat exemplarisch vorgeführt, dass Mode nie allein auf eine exklusive Klientel und die Modemagazine beschränkt sein kann, sondern immer alle betrifft. Die Mode mag aus der Mode gekommen sein. Doch Gernreich hat schon in den 1960er- und 1970er-Jahren einer Weltöffentlichkeit bewiesen, welche Bedeutungen Dress-Codes in jeder Zivilgesellschaft einnehmen und wie sie unser soziales Überleben sichern - mehr denn je. Mit seinen Kleiderentwürfen artikulierte der Designer programmatisch das Freiheitsbedürfnis einer Generation.

Nach Wien ist Rudi Gernreich nach seiner Emigration übrigens nie mehr zurückgekehrt. (Brigitte Felderer, Rondo, DER STANDARD, 3.8.2012)