Alexander Bechstein (links) und Peter Lindenberg sind die rührenden Hausmeister, Wächter und Auskenner in der "Vintagerie" in der Wiener Nelkengasse.

Foto: Heribert Corn/http://www.corn.at

Schräg vis-à-vis vom Tanzcafé Jenseits, also einen kräftigen Steinwurf vom Haus des Meeres entfernt, ist man dem Gewusel der Mariahilfer Straße entkommen. In der Nelkengasse Nummer 4, genauer gesagt im Kellerlokal des Hauses, ist es kühl an diesem Sommernachmittag, auch ohne Klimaanlage. Das war schon so, als an diesem Ort einst ein bulgarischer Coiffeur den Damen die Haare machte. Und wohl auch, als hier noch eine Kleiderfabrik untergebracht war. "Vor allem Uniformen, zum Beispiel für Billeteure, wurden gefertigt", erzählt Peter Lindenberg, der gemeinsam mit Alexander Bechstein Frisör und Fabrik abgelöst hat und hier die Vintagerie betreibt, ein Geschäft, das Design anbietet - Objekte zwischen Klassikern à la Alvar Aalto und Stücken, die man sonst eher aus Heimatfilmen wie Schick Deine Frau nicht nach Italien oder ähnlichen Streifen kennen könnte. Und das Besteck, das auf einem prächtigen Tisch aus den 1950er-Jahren feilgeboten wird, erinnert an den Rehrücken mit Schlagobers, den man einst auf Omas Hollywoodschaukel verputzte.

"Möchten S' ein Glaserl Rosésekt", lautet die Frage, die Bechstein einem jungen Pärchen stellt, das die Treppen der Vintagerie herunterkommt. Eine Einladung, in deren Genuss übrigens jeder Kunde der Vintagerie kommt. Beim Kredenzen von Schaumwein geht es Bechstein (41) und Lindenberg (40) nicht darum, den Funken für einen möglichen Kaufrausch zu zünden. Man könnte sagen, diese Sektlaune wurde zum Ritual in der Vintagerie. Der Perlwein war nämlich auf gewisse Weise Patenstoff für die Gründung des Geschäfts. "Neben unserem Faible für gute alte Designstücke frönen wir seit langem auch der Leidenschaft für Rosésekt. So wurde auch der Entschluss, einen Laden aufzusperren, während einer nachmittäglichen Nipperei gefällt, erinnert sich Bechstein.

Märchenwald für Objekt-Nostalgiker

Den eigens kreierten rosa Tropfen schlürfend, tapst die Kundschaft also durchs Geschäft und macht ganz schön Augen, angesichts vieler Dinge aus vielen Jahrzehnten. Die Vintagerie gleicht einer Lagerhalle, sie ist weitgehend weiß getüncht. Die Blicke fallen auf Möbel, Geschirr und Leuchten, aber auch auf charmante Kramuri, die sich auf gut 180 Quadratmetern breitmacht. In diesem Märchenwald für Objekt-Nostalgiker finden sich Turnbänke, Spiegel, Apothekergefäße, Fechtmasken, Schemel, Windhunde aus Porzellan, Modeschmuck, Plastikaschenbecher in allen Farben des Regenbogens, eine Schulschautafel mit Getier aus der Kreidezeit oder ein Gartenmöbelensemble, auf dem nur Vico Torriani und Caterina Valente fehlen.

Die Reggae-Töne aus den Boxen in der Vintagerie spulen einen wieder ein paar Jahrzehnte nach vor. Nichts ist schick oder gestriegelt, man darf eintauchen in eine Welt von gestern, in der Bechstein und Lindenberg die rührenden Hausmeister, Wächter und Auskenner geben: "Da gibt es zum Beispiel dieses Ding hier. Ein kleines, weiß gestrichenes Körbchen mit einem rot-weiß gestreiften Baldachin, der beleuchtet werden kann. Wir zermartern uns seit Wochen das Hirn, was das sein könnte. Wir mussten es unbedingt haben. Wahrscheinlich taucht das Ding irgendwann in einem Peter-Alexander-Film auf, und wir finden des Rätsels Lösung", erzählt Bechstein und hält dabei behutsam das fragliche Ding im Arm.

Das Wesen eines Objekts spüren

"Das Allerschönste an unserem Job ist, wenn wir mit den Taschen voller Geld in unseren Transporter steigen und erst zurückkommen, wenn kein Korkenzieher mehr ins Auto passt", erklärt Lindenberg, der aus einer Familie von Antiquitätenhändlern stammt. Sein Kompagnon Bechstein, Aussteiger aus dem Verlagswesen, erzählt weiter, dass nichts, aber auch gar nichts, das sie nicht auch in ihrer eigenen Wohnung als Mobiliar aufnehmen würden, Chance auf ein Platzerl im Transporter finde. Fündig werden die beiden, die mit einem Online-Shop starteten, in den üblichen Quellen: bei Unternehmen, die Räumungen durchführen, auf Flohmärkten, bei Sammlern und durch Mundpropaganda. "Es ist der Mix aus Dingen, das Fingerspitzengefühl, das die Vintagerie zu dem macht, was sie ist. Wir mögen grundsätzlich alle Designklassiker, aber nur solche zu zeigen, die man eh schon kennt, wäre langweilig", erklären die Hüter der Vintagerie.

Auf die Frage, ob Vintage-Design nicht auch als Möglichkeit herhalten muss, Geschmacksunsicherheiten zu kaschieren, indem man sich hinter Klassikern im Sinne eines Labels versteckt, reagieren die zwei gelassen. "Das gilt wahrscheinlich eher für den High-End-Bereich. Wir freuen uns über jedes Stück, das wir hierhertragen. Wir möchten, dass man das Wesen eines Objekts spürt", erklären sie. "Uns geht es nicht um den Namen oder das Label, für das ein Klassiker stehen kann. Zwei Arten von Kunden werden hier empfangen", sagt Bechstein und zählt auf: "Auf der einen Seite gibt's die Hardcore-Design-Philosophen, die ihren Besuch beinahe wissenschaftlich angehen, auf der anderen gibt's Leute, die einfach nur Spaß an dieser Art von Objekten haben, so wie diese Studentin, die ewig um eine Leuchte herumstrawanzte, diese dann kaufte und ratzfatz auf Facebook gepostet hat." Das eingangs erwähnte Pärchen wird dies an diesem Tag nicht tun. Obwohl die Blicke lange auf einem Couchtisch mit pastellfarbenen Punkten pickten, haben die zwei nichts gekauft. Außer einer Flasche eiskalten Rosésekts. (Michael Hausenblas, Rondo, DER STANDARD, 3.8.2012)