Ach du lieber Klimawandel.

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Sam Lido macht in seiner Camel Valley Winery in Cornwall exzellenten Schaumwein.

Foto: Georg Desrues
Foto: Georg Desrues

Selbst seriöse britische Medien wie der Guardian berichten immer wieder von geheimnisvollen Franzosen, die angeblich durch Englands grünste Hügel streifen und sich erkundigen, wo es Land zu kaufen gebe. Und zwar um dort Wein anzubauen. Verantwortlich dafür sei der Klimawandel, der bewirke, dass es in einigen französischen Weinbaugebieten bald zu warm sein werde, wovon die prestigereiche Champagne besonders betroffen sei. Braucht doch der gleichnamige Schaumwein, um die nötige Säure zu entwickeln, kühleres Klima als jenes, das in dem Gebiet bald herrschen werde.

Und genau dieses kühlere Klima hoffen die großen Champagnerhäuser angeblich hier am südwestlichsten Spitzel Britanniens zu finden. "Ich kenne keinen einzigen Franzosen, der in der letzten Zeit in der Gegend Land gekauft hat oder sich auch nur erkundigt hat, ob welches zu kaufen sei", sagt hingegen James Lindo, Besitzer der Camel Valley Winery in Cornwall, "das sind alles nur Gerüchte, und dass die Häuser wegen des Klimawandels nach England ausweichen werden, glaube ich auch nicht." Viel eher würden die listigen Franzosen dann einfach die Richtlinien ändern, also etwa andere Trauben zulassen als die gegenwärtig vorgeschriebenen.

"Das wäre in jedem Fall einfacher und käme auch billiger", sagt Lindo, der den Klimawandel selbst gar nicht infrage stellt. "Dass es heute wärmer ist als früher, steht außer Zweifel. Es gibt inzwischen viel mehr Jahre, in denen es für uns leichter ist, guten Wein zu machen, in den 1960er-Jahren wäre das noch alles undenkbar gewesen", sagt er und deutet auf die Rebenreihen an den sanften Hängen rund um das Weingut.

Reichensteiner, Dornfelder oder Bacchus

Gegründet wurde es im Jahr 1989 von Sams Vater, dem ehemaligen Royal-Airforce-Piloten Bob Lindo und dessen Frau Annie. "Meine Eltern haben damals nur so nebenbei 8000 Reben gepflanzt, mit dem heutigen Erfolg konnten sie zu der Zeit noch unmöglich rechnen", sagt Lindo. Doch die Lindos bildeten sich weiter, vertieften sich in Fachliteratur und besuchten Weinbaukurse. Mittlerweile produzieren sie mehr als hunderttausend Flaschen Weinjährlich. In guten Jahren. Denn in schlechteren könne sich diese Zahl auch halbieren, betont Lindo. "In unserem Klima kann es schon noch vorkommen, dass die Reben überhaupt keine Blüten tragen."

Sechzig Prozent der Ernte des Weinguts werden zu Schaumwein verarbeitet, der Rest zu nichtperlenden Weiß-, Rosé- und Rotweinen. Das alles aus Reben mit seltsam anmutenden Namen wie etwa Reichensteiner, Dornfelder oder Bacchus. "Wir greifen vornehmlich auf Neuzüchtungen zurück, die für kälteres Klima entwickelt wurden. Diese kommen oft aus Deutschland, wo sie aber langsam wieder verschwinden, weil es dort zu warm geworden ist", so Lindo.

Während die stillen Camel-Weine eher gewöhnungsbedürftig schmecken, überraschen die perlenden durch ansprechende Säure, geradezu knackige Spritzigkeit und ehrliche Frische. Kein Wunder, dass der englische Schaumwein in Zeiten von Ernährungstrends hin zu lokalen Lebensmitteln und zu mehr Terroir zumindest in England hoch im Kurs steht.

"Best of British"

Die Feierlichkeiten zum diamanten Thronjubiläum von Queen Elisabeth vor wenigen Wochen waren für Lindo und seine Mitbewerber aus dem Königreich eine willkommene Gelegenheit, um ihre Schaumweine auf patriotische Art zu präsentieren - und der Konkurrenz vom Kontinent einen Teil des Umsatzes zu stibitzen.

Doch dabei wollten die Franzosen keinesfalls tatenlos zusehen. So brachte etwa Moët & Chandon eine eigene Jubilee cuvée auf den Markt. Und Lanson ging sogar so weit, seine Champagnerflaschen mit der Union Jack zu umwickeln und sie am Flughafen Gatwick unter einem Schild mit der Aufschrift "Best of British" zu bewerben. Doch da platzte den Lindos der Kragen. Vater Bob, ehemaliger Kampfpilot Seiner Majestät, schrieb umgehend einen Protestbrief an das Innenministerium und regte sich auch vor Ort dermaßen auf, dass den Angestellten des Duty-free-Shops gar nichts anderes übrig blieb, als das Schild zu entfernen.

Bei aller Bemühung und trotz patriotischer Aufrufe vonseiten der britischen Winzer bleibt unbestritten, dass das Verhältnis ihrer Landsleute zum französischen Champagner ein mehr als herzliches ist. An die 40 Millionen Flaschen davon trinken die Briten jährlich - mehr als Amerikaner und Deutsche zusammengenommen.

Ein würdiger Name fehlt noch

Dennoch steigt auf der Insel das Selbstbewusstsein, die Weingüter haben sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, die Hälfte der gesamten Anbaufläche ist heute der Schaumweinherstellung gewidmet. Und gegenwärtig sind Olympische Spiele in London, auch da sollte es Anlässe geben, um die eine oder andere inländische Flasche zu köpfen. "Was dem englischen Schaumwein noch fehlt, ist ein würdiger Name", sagt Sam Lindo.

Doch dafür müssten sich die Erzeuger erst einmal auf einen einigen. Vorschläge reichen vom französelnden "Britagne" bis zum weit britischeren "Merret", dem Namen eines englischen Wissenschafters, dem man nachsagt, er habe schon im 17. Jahrhundert etwas mit der Entwicklung von Champagner zu tun gehabt.

Und dann ist da noch der erwähnt hohe Preis. Hat doch der niedrige Eurokurs einen alten britischer Brauch wiederbelebt: die sogenannten "booze cruises". Diese bestehen darin, den Ärmelkanal nur deshalb zu queren, um sich am Festland mit billigerem Alkohol zu versorgen. Wie viel den Briten ihr Patriotismus tatsächlich wert ist, bleibt abzuwarten. Und ob das für Britannien so ereignisreiche Jahr 2012 auch zu jenem des Durchbruchs für englischen Schaumwein wird, wird sich spätestens nach den Spielen zeigen. (Georg Desrues, Rondo, DER STANDARD, 3.8.2012)