Seit mehr als 20 Jahren verfolgt und analysiert der Sozialpsychologe Klaus Ottomeyer die Politik der Freiheitlichen in Kärnten. Mit derStandard.at sprach er über die Gebrüder Scheuch, die glaubten, immer noch vom "Beliebtheitsbonus" Jörg Haiders zehren zu können, und über die Wut, die Haiders Entzauberung hinterlässt. Zudem erklärt der Psychologe, warum Jörg Haider dem Typus des "klassischen Betrügers" entspricht.
derStandard.at: Uwe Scheuch verabschiedete sich mit den Worten "Passt mir auf mein Kärnten auf" aus der Landesregierung. Er imitierte Jörg Haider, der denselben Spruch im Jahr 1991 benutzt hatte. Wie glaubwürdig ist es, wenn sich Scheuch als Haiders Erbe gibt?
Ottomeyer: Gar nicht. Scheuch unterscheidet sich von Haider, er hat nicht diese Eleganz, diesen verführerischen Charme. Aber er scheint sich mit Haider völlig zu identifizieren, das sieht man an diesem Spruch. Und er glaubt offenbar, dass auch er wieder zurückkommen wird.
derStandard.at: Die "Medienhetze" sei der Grund für seinen Rücktritt, sagt Scheuch. Auch Haider hatte immer wieder eine Hetze der Medien gegen ihn angeprangert.
Ottomeyer: Ja, das ist diese alte Täter-Opfer-Umkehr. Sich von einem Gesetzesbrecher blitzschnell umzudefinieren in ein verfolgtes Opfer. Man kennt dieses Verhalten von verwahrlosten jugendlichen Straftätern. Die sagen: "Alle sind hinter mir her, die Polizei, die Nachbarschaft, immer alle auf mich."
derStandard.at: Sie vergleichen Uwe Scheuch mit einem verwahrlosten Delinquenten?
Ottomeyer: Verwahrlost in Bezug auf den Umgang mit Gesetzen. Man kann dieses Verhalten nur als rücksichtslos und verwahrlost bezeichnen. Scheuch hat sein Über-Ich, sein Gewissen bei Haider abgegeben. Haider war seine moralische Instanz.
derStandard.at: Wie würden Sie die Stimmung in Kärnten jetzt beschreiben?
Ottomeyer: Die meisten Menschen werden langsam, aber sicher immer verärgerter. Diesen Figuren wie den Scheuch-Brüdern fehlt ja dieses Charisma, das Haider hatte. Die Scheuchs verwechseln da etwas: Sie glauben, von diesem Beliebtheitsbonus Haiders immer noch zehren zu können. Haider hat man ja alles nachgesehen. Aber bei den Scheuch-Brüdern wird das nicht funktionieren.
derStandard.at: War Haider identitätsstiftend für viele KärntnerInnen?
Ottomeyer: Ja. Er war eine Marke für sich, mit hohem Wiedererkennungswert, und hat auch das Land Kärnten zu einer Marke gemacht. Kärnten war auf einmal bekannt - ein Eventland. Das hat das Selbstwertgefühl vieler Kärntner gehoben. Es war eine Art Selbstbewusstseins-Großgruppentherapie - um den Preis der Verleugnung der Realität und der Bilanzen. Es war die Landespolitik eines Hochstaplers, auch in finanzieller Sicht.
derStandard.at: Angesichts der Geldwäsche-Vorwürfe, die ja auch Jörg Haider selbst betreffen: Verliert der Mythos Haider jetzt an Glanz?
Ottomeyer: Ja, das glaube ich schon. Und das ist sicher ein Schock für viele, Haider war ja für viele Leute Teil ihres Seelenhaushaltes, eine schöne Erinnerung, Quelle ihres Selbstwertgefühls. Sehr viele haben sich mit Haider fotografieren lassen, diese Fotos sind dann bei der Trauerfeier aufgestellt worden, neben den Kerzen. Wenn Sie heute in Kärntner Behörden gehen, haben viele Beamte im Büro immer noch ein Haider-Bild dort stehen, mit Trauerflor oder Kerze.
derStandard.at: Wie gehen die Menschen mit dieser Entzauberung Haiders um?
Ottomeyer: Viele Kärntner haben sich durch die Haider-Identifizierung aufgewertet, und für sie bricht jetzt eine Welt zusammen. Es wird wahrscheinlich ziemlich viel Wut und Aggressivität entstehen. Die Frage ist, wohin mit dieser Wut. Wenn jetzt irgendwo Sündenböcke gefunden werden, darf man sich nicht wundern. Es könnte zu Übergriffen auf Randgruppen kommen. Im Jahr 2008 war es ja auch so: Die Menschenhatz auf Flüchtlinge, auf Tschetschenen, die man als "kriminell" bezeichnet und später auf die Saualm gebracht hat, hatte vermutlich viel damit zu tun, dass die kriminellen Machenschaften der Landesregierung damals schon aufzubrechen drohten.
derStandard.at: Gibt es auch eine andere mögliche Reaktion auf diese Desillusionierung?
Ottomeyer: Wir unterscheiden bei Straftätern drei unterschiedliche Stufen von Reaktionen: Nach einer Straftat, wenn man vor Gericht steht, neigen viele dazu, sich für verfolgt zu erklären. Die anderen sind dann die Bösen, die einem was tun wollen, man selbst ist Opfer. Die zweite und höhere Stufe ist die depressive Position: Man sieht das bei Angeklagten oft an der Körperhaltung, wenn sie vor dem Richter zusammensinken, zu stottern beginnen. Diese Menschen sind traurig über den Mist, den sie gebaut haben. Und die höchste Stufe ist die Wiedergutmachung. Man kommt dabei aus der depressiven Position wieder heraus, indem man sagt: "Ich habe Fehler gemacht, ich will jetzt etwas tun, um es wiedergutzumachen."
derStandard.at: Könnte man sagen, Uwe Scheuch gehöre der ersten Stufe an, Josef Martinz der zweiten und Dietrich Birnbacher der dritten?
Ottomeyer: Ja. Scheuch ist noch voll in der ersten Stufe. Martinz ist schon aus der ersten Stufe draußen, er beschimpft niemanden mehr, er ist in der depressiven Phase. Und Birnbacher ist schon in der Position der Wiedergutmachung. Dem ist es nicht gut gegangen, und dann hat er ein volles Geständnis abgelegt. Und er hat selbst gesagt, er verstehe das als Wiedergutmachung an Kärnten. Das finde ich toll: Wenn Leute das schaffen, dann muss man sie loben. All diese Stufen sind grundsätzlich jedem Menschen möglich - aber ich habe noch keinen Freiheitlichen erlebt, der so betroffen gewirkt hat wie Martinz. Keinen, der gesagt hat: "Wir haben Mist gebaut." Diese Wagenburg-Mentalität ist bei Freiheitlichen sehr stark.
derStandard.at: Gibt es Menschen, die Haiders Entzauberung verdrängen, die nicht wahrhaben wollen, dass er doch nicht supersauber war?
Ottomeyer: Es gibt tatsächlich Leute, die sagen: "Unterm Haider hätte es das nicht gegeben." Das ist natürlich illusionär - er hat das ja alles bewirkt.
derStandard.at: Wie würden Sie die Beziehung der KärntnerInnen zu Gerhard Dörfler beschreiben? Dem Image des fitten, strahlenden, sexy Selfmademan, der Haider war, entspricht er ja nicht gerade.
Ottomeyer: Nein. Keiner ist wirklich begeistert von Dörfler. Aber man hat ein bisschen die Hoffnung gehabt, dass sich die Konflikte beruhigen, mit dem Ortstafel-Kompromiss zum Beispiel. Dass man hinter ihm nachzieht, sich für ihn aufopfert, kann ich mir nicht vorstellen. Er hängt ja selbst in vielen Sachen mit drinnen. Denn wenn er, der Parteikassier und Stellvertreter Haiders, wirklich so unschuldig und unwissend ist, wie er tut, dann muss er wohl ein bisschen doof sein. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder er ist mitschuldig oder einfach ein bisschen beschränkt.
derStandard.at: Sie haben Jörg Haider in Ihren Büchern als "Beschützerfigur" dargestellt. Wurde von Haider erwartet, dass er die KärntnerInnen "vor Wien beschützt"?
Ottomeyer: Ja, viele Kärntner haben das Gefühl, sie seien vernachlässigte Kinder: "In Wien wird nicht auf uns geschaut, darum müssen wir uns aus Wien das holen, was uns zusteht." Und dabei war Haider oft behilflich. Er hat den Robin Hood gespielt, der gesagt hat: "Ich hole euch das aus Wien, was euch zusteht" - Geld, aber auch Anerkennung. Haiders Kunst war ja, ganz schnell zwischen Rollen zu switchen. Erst Robin Hood, dann staatstragender Politiker. Er wechselte zwischen circa 20 Rollen, und die Leute haben das dann ganz schnell vergessen, was er in den zwei, drei Rollen vorher dargestellt hat. Weil er die Menschen ganz in seinen Bann gezogen hat. Haider passt sehr gut in das Bild des klassischen Betrügers, wie es die forensischen Psychologen beschreiben.
derStandard.at: Wie würden Sie diesen Betrüger-Typus beschreiben?
Ottomeyer: Ein Betrüger kann sich sehr schnell wechselnd in die unterschiedlichsten Menschen einfühlen, kann ihnen sagen, was sie hören wollen, gewissermaßen ihre Träume erfüllen, und empfindet ein diebisches Vergnügen, wenn die anderen glänzende Augen bekommen, ihm sein Versprechen glauben und sich so verhalten, wie er es möchte. Haider hat diesem Bild sehr stark entsprochen. Dem Bild des jungen, smarten Neo-Machos, der eine aggressive, auch erotisierte Virilität ausstrahlt, aber in Wahrheit ein Betrüger ist.
derStandard.at: Heinz-Christian Strache versucht ja auch, bei Disco-Auftritten den gut gelaunten Macho zu geben. Schafft er es, wie Haider zu begeistern?
Ottomeyer: Er versucht es. Er gibt sich wie Haider als Rebell, vergleicht sich mit Che Guevara. Er spielt den Helden, der vor nichts Angst hat, er bietet den Menschen an, mit ihm aggressiv zu sein. Auch die Rebellion der unteren Schichten gegen die oberen, Gebildeten, und die Jagd auf Ausländer ist ähnlich. Sehr viele Menschen haben ja eine große Freude daran, auf Kosten Schwächerer aggressiv zu sein. Und wenn sie dann teilhaben können an Beschimpfungen ihres politischen Führers, dann gefällt ihnen das. Und das bietet Strache ihnen an.
derStandard.at: Wird es die FPÖ in Zukunft schwerer haben, das Bild des "tüchtigen, anständigen Menschen" zu bemühen?
Ottomeyer: Ja, sicher. Das Etikett des Schmutzigen, Kriminellen werden sie nicht so schnell los. Da sind die Leute relativ gnadenlos. Daher war es gut, dass die Justiz sich eingeschaltet hat. Solange die Menschen nicht vor Gericht stehen, kann man die Realität gut verleugnen. Zwar sind auch Peter Westenthaler und Susanne Winter vorbestraft, aber das haben nicht so viele mitbekommen. Was jetzt passiert, kriegen alle mit. (Maria Sterkl, derStandard.at, 2.8.2012)