New York/Genf/Aleppo - Aus Ärger über die Zerrissenheit der Weltgemeinschaft in der Syrien-Frage gibt der internationale Sondergesandte Kofi Annan sein Amt mit Ende August auf. Er habe "nicht alle Unterstützung bekommen, die der Fall verdient", sagte Annan am Donnerstag in Genf mit Blick auf die Streitigkeiten im UNO-Sicherheitsrat. Während die Kämpfe in Syrien weiter andauerten, wurde über ein neues Massaker nahe Damaskus berichtet.

Mit Annans Entscheidung schwinden die Aussichten auf eine diplomatische Lösung des Syrien-Konflikts weiter. Diplomaten zufolge haben die USA und Golf-Anrainer zunehmend frustriert auf Annans Beharren auf einer Verhandlungslösung reagiert. Aus ihrer Sicht sind alle Möglichkeiten dafür ausgeschöpft. Hinzu kommt der Streit unter den fünf Vetomächten im Rat über Sanktionen gegen Präsident Bashar al-Assad. Russland und China haben mit ihrem Veto drei Syrien-Resolutionen zu Fall gebracht. Die USA gaben beiden Ländern eine Mitschuld an Annans Rückzug. Wer ihm als Vermittler von Vereinten Nationen und Arabischer Liga folgen soll, ist unklar.

Gegenseitige Schuldzuweisungen

Die USA und Russland reagierten mit gegenseitigen Schuldzuweisungen auf Annans Rücktritt. Der Schritt werfe ein Licht auf die Blockadehaltung Russlands und Chinas, erklärte das US-Präsidialamt. Russlands UN-Botschafter Witali Tschurkin bedauerte den Rückzug Annans. Sein Land hoffe, "dass Kofi Annan im verbleibenden Monat trotz schwerer Bedingungen noch Erfolge erzielen kann". China äußerte Verständnis für die Entscheidung Annans. Ein Sprecher des Außenministeriums in Peking sagte, Peking verstehe die Schwierigkeiten, auf die Annan gestoßen sei und respektiere seine Entscheidung. China bedauere den Rückzug.

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sprach sich für eine Fortsetzung der UN-Präsenz in Syrien auch nach dem Ablauf des Mandats der Beobachtermission Unsmis am 19. August aus. "Es ist die Sichtweise des Generalsekretärs, dass die UN auf irgendeine Art und Weise in Syrien bleiben müssen", sagte UN-Untergeneralsekretär Hervé Ladsous am Donnerstag in New York. Ladsous war Ende Juli in Syrien gewesen und hatte den Sicherheitsrat am Donnerstag bei einem Treffen hinter verschlossenen Türen über die aktuelle Lage in dem Konfliktland informiert.

Suche nach Nachfolger

Ban werde dem Sicherheitsrat Vorschläge unterbreiten, wie die Fortsetzung der UN-Präsenz in Syrien aussehen könne. Details dazu gebe es noch nicht. Annan zeigte sich überzeugt, dass die Suche nach einem neuen Sonderbeauftragten für Syrien erfolgreich verlaufen wird."Die Welt ist voller verrückter Leute wie ich. Seien sie also nicht überrascht, wenn Generalsekretär Ban jemanden findet, der einen besseren Job als ich macht"

"Ohne ernsten, entschlossenen und vereinten internationalen Druck, auch von den Mächten der Region, ist es mir wie auch jedem anderen unmöglich, an erster Stelle die syrische Regierung - und auch die Opposition - zu zwingen, mit den nötigen Schritten für einen politischen Prozess zu beginnen", sagte der 74-jährige Annan am Donnerstag in Genf. "Während das syrische Volk verzweifelt nach Taten verlangt, gehen die gegenseitigen Schuldzuweisungen im Sicherheitsrat weiter", kritisierte Annan.

Cameron für mehr Druck

Der britische Premierminister David Cameron, der am Donnerstag in London den russischen Präsidenten Wladimir Putin getroffen hatte, forderte den Sicherheitsrat auf, den Druck auf Syrien zu erhöhen. Die 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen wollen an diesem Freitag in der Vollversammlung über einen Text abstimmen, der Assads Blutbad am eigenen Volk scharf verurteilt. Im Sicherheitsrat, dem einflussreichsten Gremium der Vereinten Nationen, waren entsprechende Resolutionen stets am Widerstand der Russen und Chinesen gescheitert.

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle betonte, es sei "höchste Zeit", dass Russland und China dem Assad-Regime ihre schützende Hand entzögen. Nur wenn die internationale Gemeinschaft geschlossen agiere, werde Annans Nachfolger eine Chance haben.

Bedauern bei Regierung und Opposition in Syrien

Die Regierung in Damaskus reagierte ebenfalls mit "Bedauern" auf Annans Rückzug. Zugleich warf die syrische Führung ihren Kritikern im Sicherheitsrat vor, sie wollten die Stabilität Syriens erschüttern. Mit der Unterstützung und Bewaffnung "terroristischer Gruppen" hätten diese Staaten dazu beigetragen, dass die Gewalt im Land anhalte.

Auch ein Vertreter des oppositionellen Syrischen Nationalrates bedauerte den Rücktritt Annans. "Er wusste, dass all seine Bemühungen vergeblich waren, und deshalb trat er zurück", sagte Naji Tayyara, ein Mitglied des Exil-Dachverbands syrischer Oppositioneller. Die Lage in Syrien sei in eine kritische Phase getreten, fügte er hinzu.

Obama ermächtig CIA

Die USA unterstützen die Kämpfer gegen das Regime von Staatschef Assad unterdessen immer unverhohlener: Mit einer geheimen Order habe US-Präsident Barack Obama dem mächtigen Geheimdienst CIA und den anderen US-Diensten die Genehmigung erteilt, den Rebellen zu helfen, verlautete aus Regierungskreisen.

Die Rebellen würden mit 25 Millionen Dollar von den USA unterstützt, doch werde das Geld nicht für Waffenkäufe eingesetzt, hieß es. Das Weiße Haus teilte am Donnerstag zudem mit, die humanitäre Hilfe für die Opfer des Syrien-Konflikts werde um zwölf Millionen Dollar (9,7 Millionen Euro) auf 76 Millionen aufgestockt.

Kämpfe in Aleppo

In der syrischen Wirtschaftsmetropole Aleppo bemühten sich die Rebellen, die Kontrolle über Gebiete in ihrem Machtbereich zu festigen. Seit Tagen greifen sie immer wieder Polizeiwachen oder kleinere Militärposten an. Die Regierungstruppen bombardierten unterdessen erneut mit Kampfflugzeugen, Panzern und Artillerie den seit einer Woche umkämpften Salahaddin-Distrikt im Südwesten der Stadt, der ein Einfallstor in die Metropole bildet. Salahaddin gehört zum Bogen der Rebellengebiete, der sich bis in den Nordosten Aleppos hinzieht. Momentan hat keine der beiden Konfliktparteien das strategisch wichtige Viertel völlig unter Kontrolle.

Der Aufstand hatte Aleppo lange nicht erfasst. Nun jedoch sind viele der 2,5 Millionen Einwohner in den Kampfzonen gefangen, es mangelt ihnen an Lebensmitteln, Treibstoff, Wasser und Gas. Tausende Menschen sind auf der Flucht. Nach einer Woche Kämpfen können Krankenhäuser und Behelfskliniken den Andrang der Verletzten kaum noch bewältigen.

"Die humanitäre Lage in Aleppo verschlechtert sich und der Bedarf an Lebensmitteln steigt rapide", erklärte das Welternährungsprogramm (WFP). Es kündigte an, Notfallnahrung für bis zu 28.000 Menschen in die Stadt zu schicken. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass bis zu drei Millionen Syrer in den nächsten zwölf Monaten auf Lebensmittel und andere Hilfsgüter angewiesen sein werden, weil die Kämpfe die Bauern von der Ernte abhalten. (APA/Reuters, 2.8.2012)