P. A. Ulram: Stunde derer, die sich zum Opfer stilisieren.

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"I am already constructing the lies I am going to tell." (Der englische Autor John Le Carré über angebliche Pläne für seine Autobiografie)

In Kärnten gibt es Ansätze zur Aufarbeitung der Ära Jörg Haider. Es gibt sogar Geständnisse, Rücktritte - nicht unbedingt aus freien Stücken -, gefällte und zu erwartende Gerichtsurteile, schon und noch nicht öffentlich Bekanntes, und der schrittweise Übergang von "Treu bis in den politischen Tod" zu "Rette sich, wer kann" trägt das seine dazu bei. Vielleicht wird Landesgeschichte gemacht, jedenfalls aber werden Geschichterln erzählt, und die Geschichte oder doch die eigene Rolle in derselben soll neu geschrieben werden.

Lassen wir einmal die Figur des "großen Blenders" Haider (und er hat viele geblendet, speziell auch viele Wähler und Wählerinnen vielerorts) ebenso etwas beiseite wie die Rolle der Kärntner SPÖ (die jahrzehntelang ein System aus Stagnation, Machtausübung und Freunderlwirtschaft etabliert hatte, von dem viele Landesbürger "erlöst" werden wollten), und wenden wir uns der Kärntner ÖVP zu. Die fristete traditionell ein eher kümmerliches Dasein, dessen wahre Tristesse zeitweise von der Landeshauptmannschaft Christoph Zernattos (1991-1999) überdeckt worden war.

Zernatto überließ freilich die Partei sich selbst (ob nun aus Realitätssinn oder mangelndem Willen zu Kärrnerarbeit), er konnte die ÖVP aber noch knapp über 20 Prozent stabilisieren. Danach rangierten die Wahlergebnisse zwischen peinlich und schlecht. Die Politiker der ÖVP (wie der SPÖ) standen dem Phänomen Haider (sorry, aber es geht doch nicht ohne ihn) teils mit neidvoller Bewunderung, teils mit subkutanen Hassgefühlen, teils mit Resignation u. Ä. m., aber jedenfalls weitgehend mit Hilflosigkeit und Opportunismus gegenüber. Relevante inhaltliche Alternativen wurden nicht entwickelt, Kooperation und Streit waren primär taktisch motiviert.

Die Landesparteiobleute waren durchwegs Übergangslösungen mit kurzer politischer Halbwertszeit und wenig attraktiv. Kurzfristig setzte man große Erwartungen - in Wien wie im Land - in Elisabeth Scheucher, die deshalb auch zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl 2002 (die dann schiefging) gekürt wurde. Wurmitzer war als Spitzenkandidat von Anfang an nicht vorgesehen (auch wenn er das vielleicht gehofft hatte), und sein Rücktritt als Obmann war die Folge des Wahldesasters.

Weder die Kandidatenwahl noch sein Rücktritt hatten etwas mit einer angeblichen Schüssel-Verärgerung über den Hickhack mit Haider bezüglich der Wandelschuldanleihe zu tun. Richtig ist, dass die Bundes-ÖVP in der schwarz-blau/orangen Bundesregierung Kärnten Haider gleichsam als politische Spielwiese überließ - in der vergeblichen Hoffnung, ihn dadurch aus der Bundes- und Regierungspolitik weitgehend her aushalten zu können. Generell sind die Einflussmöglichkeiten der ÖVP-Bundesparteiobmänner auf landespolitische Sach- und Personalentscheidungen sehr gering (umgekehrt wird eher ein Schuh daraus) und kommen am ehesten dann zur Geltung, wenn die Landespartei selbst in sich zerstritten und/oder der Landesparteiobmann bereits seinen Rückhalt im Land verloren hat.

Rolle des Hypo-Verkaufs

Lexer und Wurmitzer wurden zu Recht oder zu Unrecht von ihren Landespartei-"Freunden" demontiert und nicht "von außen". Verhaltene ÖVP-Kritik (primär aus Wirtschaftskreisen) gab es an Aspekten des Hypo-Engagements am Balkan, grundsätzlich wurde aber gar nichts infrage gestellt und der Verkauf der Hypo an die Bayern als "Geniestreich" gefeiert (an dem man in mancher Form mitnaschen wollte und bekannterweise auch mitgenascht hatte). Und wenn so mancher die Faust über die enge Beziehung Haider-Kulturer mutig im Sacke ballte, so nicht aus Angst vor wirtschaftlichen Katastrophen, sondern weil die Hypo als finanzieller Selbstbedienungsladen des Landes angesehen wurde und andere keinen vergleichbaren Zugang zu den Geldtöpfen hatten.

Jetzt, wo sich das Regime von FPÖ/BZÖ/FPK, oder wie in Zukunft auch immer benamst, möglicherweise dem Ende zuneigt, mehrt sich (wie schon früher in der Geschichte) die Anzahl derer, die nicht nur nicht dabei gewesen sein, sondern ja eigentlich im "Widerstand" gewesen sein wollen. Nur dass ihre selbstlos-mutigen Aktivitäten von bösen Mächten, speziell am Ballhausplatz, vereitelt wurden - zuerst verlassen, dann verraten und in die innere Emi gration gedrängt.

Jetzt aber schlägt die Stunde (und die wohlwollende mediale Aufmerksamkeit), da man sein Licht nicht mehr unter dem Scheffel zu verbergen braucht und man sich selbst zum Opfer hochstilisieren kann: "Ich habe lange geschwiegen, jetzt tue ich das nicht mehr." "Man wollte mich loswerden", weil ich den Machenschaften der "politischen Hydra Haider" "im Wege gestanden" bin (Ex-ÖVP-Obmann Wurmitzer im STANDARD vom 1.8.2012).

Bleiben noch zwei abschließende Bemerkungen: Es gab in Kärnten (gerade bei den Grünen und in der Zivilgesellschaft) Personen, die sich gewehrt haben. Sie finden sich auf einmal unfreiwillig in einer ziemlich problematischen Gesellschaft. Und mit der Aufarbeitung der Ära Haider wird so lange nichts Ordentliches werden, als man die eigene Rolle darin schönzuschreiben und das eigene Versagen auf andere abzuwälzen versucht.

Vielleicht sollte man die Brücke mit Haiders Namen, nein, nicht umbenennen, aber mit einer kleinen Installation zur Erinnerung an die Rolle der anderen Parteien ergänzen: eine offene Hand, die sich zur Faust ballt, wenn die Pfeiler zu bröckeln beginnen. (Peter A. Ulram, DER STANDARD, 3.8.2012)