Brigitte Hobmeier denkt sich beim Applaus oft: "Mein Gott, ist das schön, dass ich hier stehen kann."

Foto: Janine Guldener

Über ihre Rolle und die Tricks bei Gedächtnislücken sprach sie mit Andrea Schurian.

STANDARD: Händl-Klaus-Texte sind oft komplizierte Wortkompositionen. Wie geht's Ihnen mit den "Bienen"?

Brigitte Hobmeier: Die erste Textfassung im März hab' ich erst einmal im Schock in die Ecke geworfen! (lacht) Sätze, die eigentlich einer Person zugedacht sind, werden von zwei, drei, manchmal sogar vier Personen gesprochen. Wir diskutieren viel dar über, wie man seinen Charakter finden kann in diesem textgewebten Teppich, wo ein Satz sich über mehrere Charaktere stülpt. Wenn der eine den Satz in eine bestimmte Richtung drängen will und der andere ganz woandershin. Händl Klaus ist ein großer zeitgenössischer Schriftsteller, der sich jedes "und" und "aber", jedes Komma überlegt. Sein Text und die Musik von Franui spielen die Hauptrollen!

STANDARD: Kann man diesen Text überhaupt allein zu Hause lernen?

Hobmeier: Das muss man richtig pauken und miteinander brav üben, dass sich dieser eine Satz tatsächlich formt. Aber schau ma mal, dann seg ma scho. Wir witzeln, dass, wer sein "doch" oder "nun" vergisst, einfach "peng" sagt. Ich lese das Stück ganz oft, damit Assoziationsfelder aufgehen, sich Räume erschließen.

STANDARD: Welche?

Hobmeier: Die Biene muss ja für jede Symbolik herhalten, für mich symbolisiert sie die Seele. Im Stück werden ja die Bienen verbrannt. Mich berührt die Frage: Was passiert mit Menschen, deren Seelen verbrannt, tot sind? Wie sehen diese Menschen aus? Wie können sie leben, wie sehen ihre Ziele aus?

STANDARD: Es gibt vier Personen: Peter (Stefan Kurt), Wim (André Jung), Lukas (ein Sängerknabe) und Sie als Kathrin. Was für eine Frau ist das?

Hobmeier: Kathrin ist für mich keine hundertprozentig astreine Figur: Frau, Mutter, Lehrerin, Tochter, Misshandelte, Miss handelnde ...

STANDARD: Wie viel von Ihrem Alltag als Ehefrau, Mutter und Tochter können Sie in die Figur einbringen?

Hobmeier: So ehrlich sollte man sein: Ein paar Abgründe bringt man schon mit. Es gilt doch für jede Mama und berufstätige Frau, dass es ein äußeres Bild von Mutterschaft gibt, dem man nicht entspricht und immer öfter auch nicht entsprechen will! Da kämpfen wir Weiber doch immer noch. Und bei Kathrin: Nur weil sie Mutter ist, hat sie keine Sexualität mehr? Schnarch! Stimmt ja nicht.

STANDARD: Wie erleben Sie es, dass bei einem so textspezifischen Stück Regisseur Nicolas Liautard nicht Deutsch spricht?

Hobmeier: Die Textarbeit ist mit ihm natürlich nicht möglich, es sind die großen Themen, die ihn interessieren. Er ist ein großer Bildererzähler, damit will er die Geschichte transportieren. Wir reden französisch, englisch und deutsch. Manchmal werden in einem Satz alle drei Sprachen verwendet. Ob es ein Manko ist oder ein Vorteil, wird sich weisen. Ich habe auch schon mit Regisseuren gearbeitet, wo ich dachte: Na, jetzt geh du mal einen Schritt zurück und lass mich meinen Satz endlich zu Ende sagen. Und bei manchen, wenn es nicht so gut läuft, denke ich mir dann schon: Du Depp, mach endlich deine Arbeit.

STANDARD: Das belegen Sie natürlich nicht mit Namen?

Hobmeier: Sind Sie verrückt? (lacht)

STANDARD: Färben Stücke und deren Sprache auf Ihren Alltag ab?

Hobmeier: Ja, sehr. Das ist ja wie eine Trance, der man sich täglich aussetzt. Auch jetzt huscht die Händl-Klaus-Sprache, der Rhythmus, in meine Gedanken hinein, vielleicht können ja André Jung, Stefan Kurt und ich am Ende keinen Satz mehr ohne einander vollenden! Wenn ich in ein neues Stück reingehe, spüre ich immer, dass das alte, das ich gerade gespielt habe, mit reinschwappt. Auch bei Kollegen, die gerade intensiv am Proben oder knapp vor der Premiere sind, merke ich: Jetzt verändert er sich ein bisschen.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass eine Lehrerin Ihr Talent entdeckt und Sie ermuntert habe, Schauspielerin zu werden ...

Hobmeier: Ja. Und da habe ich erst mal Nein gesagt.

STANDARD: Warum dann doch Ja?

Hobmeier: Schiere Verzweiflung! Ich komme aus einer Arbeiterfamilie, da war ein künstlerischer Beruf nicht unbedingt naheliegend. Für meinen Bruder und mich war es schon eine Pionierleistung, aufs Gymnasium zu gehen. Danach war die innere Ansage: "Du musst gleich versuchen, Geld zu verdienen. Studium fällt aus." Aber die Sehnsucht war doch zu groß. Die Überlegungen waren schon mit Verzweiflung und inneren Kämpfen verbunden. Keine leichte Zeit!

STANDARD: Vergisst man später, dass man sich die Berufswahl so hart erarbeitet hat?

Hobmeier: Nein, das vergesse ich nie! Ich bin jetzt zwölf Jahre in diesem Beruf, aber ich denke mir bei jedem Applaus: "Mein Gott, ist das schön, dass ich hier stehen kann." Dieses Bewusstsein fürs Nichtalltägliche ist schon in mir.

STANDARD: Sie haben gleich am Beginn Ihrer Karriere bei Peter Steins "Faust"-Projekt mitgewirkt.

Hobmeier: Das war für mich genial, was immer man von außen über Steins Faust zu schimpfen und zu sagen hatte. Wir sind ja in der gesamten Weltpresse komplett durchgefallen. Aber für mich hätte es nach der Schauspielschule nichts Besseres geben können - auch wenn ich mich zweieinhalb Jahre mit Vierzeilern herumgequält habe und nicht mehr wusste, wie ich den Satz noch anders sagen könnte. Heutzutage würde man sagen: Das junge Ensemble, also wir Vierzeilensprecher hatten am Ende alle ein Burnout aufgrund von Unterforderung. Aber ich möchte es nicht missen. Steins Art der Textarbeit und Analyse habe ich später nie mehr erlebt.

STANDARD: Apropos Burnout: Das könnten Sie jetzt eher aus Über-, denn aus Unterforderung haben. Sagen Sie auch Rollen ab?

Hobmeier: Ich war heuer wirklich sehr fleißig und gerade da ruft Salzburg an. Aber man sagt da nie ab. Natürlich nicht! Da war der Wunsch schon zu lange zu groß. Wie heißt es doch so schön: Das Privatleben entspannt von der Arbeit, und die Arbeit entspannt vom Privatleben. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 4./5.9.2012)