Wie geht das jetzt mit den Autoreifen? Längst nicht alle Jugendlichen lernen in den Lehrjahren tatsächlich alles, was sie für den Beruf wissen müssen.

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Wien - Wer ist schuld daran, dass die Lehre in Wien zunehmend zum Krisenherd wird? Die Schule, die die Jugendlichen nicht auf das Berufsleben vorbereitet? Oder die Betriebe, die zu wenig darauf achten, dass junge Leute etwas lernen - und nicht nur staatlich geförderte Hilfsarbeiter bleiben? Der Streit zwischen Wirtschaftskammer und Gewerkschaft ist einmal mehr virulent, seit vergangene Woche alarmierende Zahlen zu den Lehrabschlussprüfungen präsentiert wurden. Fast jeder Fünfte fällt durch, zehn Prozent treten erst gar nicht an.

Damit ist die Zahl der nicht abgeschlossenen Ausbildungen in den Unternehmen deutlich im Steigen begriffen (siehe Grafik) - österreichweit, insbesondere aber in Wien. 18,9 Prozent der Lehrlinge haben 2011 ihre letzte Prüfung nicht bestanden, 2005 waren es noch 12,9 Prozent. "Wie kann jemand drei Jahre in einem Betrieb sein, ohne dass auffällt, dass er seinen Beruf nicht ausüben kann?", fragt sich daher Christoph Peschek, Lehrlingssprecher der Wiener SP und Jugendvorsitzender der Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter.

Problemzone Hauptschule

Um einem gern bemühten Erklärungsversuch Vorschub zu leisten: Die Berufsschule könne es nicht sein, meint Peschek, dort würden die Lehrlinge schließlich nur ein Viertel ihrer Lehrzeit verbringen. Und die Ausrede auf die schlechten Wiener Hauptschulen, aus denen viele Lehrlinge kommen, sieht Peschek höchstens als "Selbstkritik der ÖVP", wie er dem Standard sagte. Schließlich seien es die Schwarzen, die seit vielen Jahren eine gemeinsame Ausbildung der Zehn- bis Vierzehnjährigen - Stichwort "Bildungseintopf" - blockieren würden.

Zwar keine Gesamtschule, aber eine Ganztagsschule wünscht sich die Wiener Wirtschaftskammerpräsidentin Brigitte Jank. Sie könne zwar nicht für die Bundesländer sprechen - "aber für Wien wäre eine strukturierte Form des ganztätigen Lernens eine wirklich gute Lösung". Sie wünscht sich außerdem vergleichbare Beurteilungen am Ende der Pflichtschulkarriere; denn die Probleme mit der Lehre würden längst nicht erst in den Betrieben anfangen, betont Jank: "Es ist ein Faktum, dass die schlechte Qualität der Ausbildung zu Problemen bei der Lehre führt. Aber die Politik schaut weg."

Die Präsidentin hat die Bildungsempirie auf ihrer Seite. So können etwa 30 Prozent der Pflichtschulabgänger nicht sinn erfassend lesen. Und Unternehmer berichteten dem Standard bereits vergangenes Jahr von ihren Schwierigkeiten bei der Lehrlingssuche, etwa, weil Schulabgänger simpelste Rechenaufgaben nicht lösen können. Ein Handwerker stellt 48 Werkstücke pro Stunde her, wie viele sind es in dreieinhalb Stunden? Schon an dieser Frage würden viele junge Bewerber scheitern, erzählte etwa der Chef eines Spenglerbetriebes.

Nur noch 35 Prozent der Jugendlichen beginnen in Wien nach ihrer Pflichtschulzeit eine Lehre, der Anteil jener, die eine weiterführende Schule besuchen, steigt kontinuierlich. Und das, obwohl viele dort "falsch aufgehoben sind", meint Jank. Die Lehre würde schlechtgeredet, was zu gesellschaftlichem Druck auf Eltern und Kinder führe, sich auch bei fehlenden Qualifikationen möglichst bis zur Matura durchzuwursteln.

Award für Lehrlingsbetriebe

Das Image, aber vor allem die Qualität der Lehre ist auch Christoph Peschek wichtig. Er war beteiligt an der Aufsetzung eines Projektes, das "positiven Druck" auf die Unternehmen erzeugen soll, junge Leute gut auszubilden. Sprich: Firmen sollen eine Art Gütesiegel bekommen, wenn sie sich gewissen Kriterien für qualitätsvolle Ausbildung verschrieben haben; so soll es etwa standardisiertes Feedback für Lehrlinge und Ausbildner, freiwillige Wissensüberprüfungen und einen Ausbildungsplan geben. Um die Nachhaltigkeit sicherzustellen, soll alle drei Jahre rezertifiziert werden, geplant ist auch ein Award mit zweckgebundenem Preisgeld.

Das Konzept hat Peschek Wirtschaftsstadträtin Renate Brauner (SP) sowie der Wirtschaftskammer übermittelt; inwieweit Letztere auf Pescheks Wünsche eingeht, ist freilich fraglich. Verbesserungen seien zwar immer gefragt, aber schon jetzt tue man viel für die Qualitätssicherung, betont Jank. (Andrea Heigl, DER STANDARD, 3.8.2012)