In manchem muss man Minister Karlheinz Töchterle recht geben. Die amtliche Bezeichnung "Vorwissenschaftliche Arbeit" (VWA) für die in Zukunft von allen Maturanten abzuliefernden Elaborate eines wissenschaftsorientierten Sachtextes ist schlecht gewählt. Vielleicht wäre "Seminararbeit" als Bezeichnung ebenso gegangen. Denn mehr als das sind die etwa 20 bis 25 Seiten nicht. Viel eher - wenn man das Bildungsziel der AHS, "Studierfähigkeit zu entwickeln", ernst nimmt - ist das aber ein schon lange notwendiger, wichtiger Schritt. Auch Töchterle sieht ja in der Orientierung hin zu "Kompetenzen" einen Fortschritt. Und Letzteres kann man nur unterstreichen - waren doch viel zu viele (mündliche) Reifeprüfungen "Wiederausspucken vorher eingelernten Merkwissens". Sie spiegelten oft einen großteils auch so gehandhabten Unterricht.

Töchterle irrt aber, wenn er das Copy-paste-Menetekel an die Wand malt. Themennot? War der Universitätsprofessor Töchterle noch nicht in der Notlage, in einem Massenfach (Pro-)Seminararbeiten kreativ gestalten zu müssen? Natürlich, wenn sich viele Lehrer aus Nachlässigkeit mit x-mal schon gestellten Standardmaturafragen aus Fantasielosigkeit oder eigenen Methodendefiziten rein auf "pseudohermeneutisch", als reine Literaturarbeiten gestellte Themen zurückziehen, sind sie selber schuld, wenn clevere Schüler zu diesen halbseidenen "Hilfen" greifen. Ja, auch die Ghostwriter gab es schon (wie Inserate zeigen, auch auf universitärem Boden).

Möglicher Fortschritt, ...

Aber: Wenn - und das kann ein Fortschritt im gesamten Unterricht sein - mit einer "Forschungsfragenformulierung", wie sie später für die Bachelorarbeiten nötig sein wird, ordentlich umgegangen wird, kann da schon mehr herauskommen als bisher. Wird doch damit eine Thematik maßgeschneidert jeweils zugespitzt auf eine konkrete Analyse - im Dialog Schüler - Betreuer - hingetrimmt.

... nur keine Angst haben

Bei einer solchen Analyse am konkretem Material, mit individuell konkretisierten Ansätzen (wenn dann noch dazu kleinräumige, empirische (Fach-)Methoden angewendet werden, wie sie bei den britischen Schulen in den obligatorischen "Field Studies" gang und gäbe sind), gehen mir als Betreuer lange nicht die Möglichkeiten/Ideen aus! Und ein Plagiat als Copy-Paste ist da ebenso höchst unwahrscheinlich, detto, dass mir die Proseminararbeit der älteren Schwester untergejubelt wird.

Der Vorteil - ob wir sie nun verkorkst "VWA" oder vielleicht wissenschaftsorientiert "Maturahausarbeit" oder "Seminararbeit" nennen sollten: Ein portfolioorientierter "direkter Leistungsnachweis" mit "einem Weg, der dabei auch ein Ziel war", ist damit gegeben. Schon bisher merkte man an den Universitäten die Expertise derer, die eine freiwillige Fachbereichsarbeit gemacht haben.

Oder soll sich Universität nur mehr mit lernplattformgestütztem, behavoristisch abgefragtem Auswendiglernwissen und Multiple-Choice-Fragen-Abarbeiten in den Studieneingangsphasen (zur Studentenzahlreduktion aus Platznot) begnügen? Das, nehme ich an, will auch der Minister nicht, auch wenn es als Diktat der leeren Kassen zu oft schon gehandhabt wird.

Wir sollten diesen neuen Ansatz der "Studierfähigkeitsorientierung" zumindest versuchen und die Lehrer "draußen in den Klassen" - auch die dabei noch schwachen, ängstlichen ("... und wie muss ich nun zitieren lassen ...?"), mit wenig Fantasie ausgestatteten unter ihnen - bei dieser Neuorientierung unterstützen. Haben wir Vertrauen zu den Lehrern, die wir ja an unseren Universitäten wissenschaftsorientiert ausgebildet haben - sonst würde ja eine sechssemestrige Employability-Ausbildung, nur mit dem untersten akademischen Grad, für die Gymnasien genügen. (Christian Sitte, DER STANDARD, 6.8.2012)