Basil Smikle: "Obama ist noch immer verdammt cool."

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Der New Yorker Stadtteil Harlem gilt als heimliche Hauptstadt der afroamerikanischen USA. Der Politikberater Basil Smikle, der 1972 in Harlem geboren wurde und noch heute dort lebt, hat für Hillary Clinton, den früheren demokratischen Senator Joseph Lieberman und den republikanischen Bürgermeister Michael Bloomberg gearbeitet. Bei der Senatswahl 2010 unternahm er einen letztlich erfolglosen Ausflug in die aktive Politik. Der Sohn jamaikanischer Einwanderer studierte unter anderem an der renommierten School of International and Public Affairs der New Yorker Columbia University. Im Gespräch mit derStandard.at erklärt er, warum die Afroamerikaner "ihrem" Präsidenten trotz aller Enttäuschungen des Regierens die Treue halten dürften.

derStandard.at: Hat Barack Obama einen neuen Stil in der Politik geprägt?

Smikle: Nein. Die Politik in Washington hat sich nicht geändert. Tatsächlich stehen ein Großteil des Dialogs und des Politikmachens unter der Kontrolle der Extremen in beiden Parteien. Das liegt vor allem an den außergewöhnlich hohen Summen Geld, die in politische Kampagnen und die sogenannten Super PACs fließen. Die gestiegenen Budgets erlauben es Stimmen, die sonst nicht gehört würden, stärker an die Öffentlichkeit zu gelangen und somit die Debatten zu beeinflussen. Zudem haben viele Kandidaten Angst, ihre Spender zu vergraulen und so Geld zu verlieren. Aber das ist nicht Obamas Schuld.

derStandard.at: Wie wird in der afroamerikanischen Gemeinde in Harlem über Obama gesprochen?

Smikle: Die meisten Leute, mit denen ich rede, sehen zwar, dass er nicht alles erfüllt hat, was er versprochen hat, aber sie nehmen ihn doch in Schutz. Das liegt auch daran, dass die Afroamerikaner sehr wohl wissen, dass die Republikaner in der Opposition alles getan haben, um Obamas Projekte zu verhindern. Wenn Kritik an Obama laut wird, dann vor allem wegen der nach wie vor hohen Arbeitslosigkeit unter jungen Afroamerikanern.

derStandard.at: Dass er dieses Problem in vier Jahren zu lösen vermag, war doch eine unrealistische Hoffnung, oder?

Smikle: Natürlich haben die wenigsten erwartet, dass der Präsident das so schnell ändern kann. Aber viele finden, Obama habe zu viel Zeit in die Gesundheitsreform investiert und zu wenig in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Aber klar ist: Wahlkampf und Regieren sind zwei komplett unterschiedliche Dinge.

derStandard.at: Ist Obama noch "cool"?

Smikle: Er ist noch immer verdammt cool! (lacht) Allerdings hat sich sein Status unter jungen Afroamerikanern verändert. Während des Wahlkampfs vor vier Jahren galt Obama als Rockstar, der die Massen bewegt. Dieses Image hat naturgemäß nicht lange gehalten, aber das war von vornherein klar. Die Leute sehen heute aber seine historische Statur, er war eben der erste schwarze Präsident, ein Nobelpreisträger. Was sie aber verlangen, ist, dass der Präsident seinen Job macht, also seine Politik durchsetzt.

derStandard.at: Wie will Obama enttäuschte Afroamerikaner in die Wahllokale locken?

Smikle: Er muss die Wähler davon überzeugen, dass er Jobs schaffen kann oder zumindest die Wirtschaft stabilisiert. 2008 ging es um Wandel, heute um Zukunftshoffnung. Darum müssen sich die Wähler sicher sein, dass er sie zurück in die Arbeitswelt bringen kann. Afroamerikaner wählen aber ohnehin kaum republikanisch, das heißt, dass sich jede Unzufriedenheit mit Obama eher in Form niedriger Wahlbeteiligung äußert. Daher geht es für den Präsidenten darum, gerade auf diese Wählerschicht zuzugehen und ihnen wieder mehr Vertrauen in seine Führung zu vermitteln.

derStandard.at: Obama hat vor kurzem eingestanden, dass er das Ausmaß der Parteilichkeit in Washington unterschätzt hat. Ist sie denn während seiner Präsidentschaft gestiegen?

Smikle: Die Parteilichkeit ist tatsächlich größer geworden, weil heute viel mehr Geld im Spiel ist. Auf beiden Seiten. Seit Obama im Amt ist, sind die Interessengruppen in Washington stärker geworden, nicht nur die Tea Party. Die Fundamentalopposition wäre aber wohl geringer, wenn der Präsident weiß wäre, da bin ich mir sicher. Viele Republikaner, gerade auf Ebene der Bundesstaaten und darunter, spielen immer wieder auf seine Hautfarbe an und suggerieren, Obama sei kein richtiger Patriot. Auch die Debatte über Obamas Geburtsort hätte es nicht gegeben, wenn er weiß wäre. Aber wirklich überrascht kann der Präsident davon nicht sein. (Florian Niederndorfer, derStandard.at, 7.8.2012)