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Nobelpreisträger Victor Franz Hess, Entdecker der kosmischen Strahlung.

Foto: APA/AÖAW

Hamburg - Als der österreichische Physiker Victor Franz Hess am 7. August 1912 gegen Mittag mit seinem Wasserstoffballon im brandenburgischen Bad Saarow landete, hatte er eine Entdeckung im Gepäck, deren weitreichende Konsequenzen ihm sicherlich noch nicht bewusst waren - und erst recht nicht, dass ihm dies 24 Jahre später den Nobelpreis einbringen würde. Bei seiner siebten Ballonfahrt in diesem Jahr hatte er in 5.300 Metern Höhe über dem Schwielochsee im Südosten Brandenburgs mit drei Ionisationsmessgeräten die Existenz einer durchdringenden Höhenstrahlung nachgewiesen. Erst später stellte sich heraus, dass es sich bei dieser sogenannten kosmischen Strahlung vor allem um einen Hagel energiereicher, elektrisch geladener Atomkerne und anderer Teilchen handelt.

"Der Nachweis der kosmischen Strahlung war eine Jahrhundertentdeckung, die uns völlig neue Einblicke ins Universum gebracht hat", betont Christian Stegmann, Leiter des Zeuthener Standorts des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY). "Darüber hinaus wurde sie auch zu einem Eckpfeiler der frühen Teilchenphysik. Vor der Entwicklung irdischer Teilchenbeschleuniger wurden mit Hilfe der kosmischen Strahlung mehrere wichtige Elementarteilchen entdeckt, etwa das Antiteilchen des Elektrons - das Positron - sowie das Myon und das Pion."

Jubiläumsveranstaltung

Rund um den 100. Jahrestag der Entdeckung organisiert DESY zusammen mit der Universität Potsdam und dem Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte ein Symposium: Vom 6. bis 8. August treffen sich in Bad Saarow Wissenschafter aus aller Welt, um die Entwicklung der vielen Teilgebiete von den historischen Anfängen bis zu Ideen für neue Projekte zu präsentieren und zu diskutieren - darunter Physiknobelpreisträger James Cronin und der 14. königlich-britische Hofastronom Sir Arnold Wolfendale.

Wolfendale betont die Bedeutung der 100 Jahre alten Entdeckung für Forschungsgebiete, die jetzt erst vor ihrem Durchbruch stehen: "Die Erkundung der kosmischen Strahlung hat zu neuen Forschungszweigen geführt, insbesondere zu neuen Formen der Astronomie, und diese haben eine leuchtende Zukunft. Die Neutrino-Astronomie begibt sich gerade an den Start, und die Gammastrahlen-Astronomie hat bereits ernsthaft begonnen."

Von der Beobachtung der energiereichsten Gammastrahlung erhoffen sich Physiker Aufschluss über die Natur der kosmischen Teilchenbeschleuniger, die millionenfach stärker sind als die stärksten Beschleuniger der Erde. Manches Proton aus der kosmischen Strahlung besitzt soviel Energie wie ein schnell geschlagener Tennisball. Doch durch ihre elektrische Ladung werden die schnellen Teilchen auf dem Weg durch den Kosmos von zahlreichen Magnetfeldern abgelenkt, so dass ihre Herkunftsrichtung nicht mehr zu ihrem Ursprungsort zurückweist.

Natürliche Teilchenbeschleuniger

Auch hundert Jahre nach ihrer Entdeckung ist der genaue Ursprung der kosmischen Strahlung noch nicht entschlüsselt: Neben dem Sonnenwind treffen auch Teilchen der sogenannten galaktischen kosmischen Strahlung und sogar extragalaktische Teilchen bei uns ein. "Das Universum ist voller natürlicher Teilchenbeschleuniger, etwa in Supernova-Explosionen, Doppelsternsystemen oder aktiven galaktischen Kernen. Bisher kennen wir nur etwa 150 dieser Objekte und haben ein erstes physikalisches Verständnis dieser faszinierenden Systeme", sagt Stegmann.

Pro Sekunde und Quadratmeter treffen etwa 1.000 Teilchen - vor allem Protonen, aber auch Elektronen und vollständig ionisierte Atome - auf die Erdatmosphäre. Die kosmische Strahlung besteht zwar zum größten Teil aus solchen geladenen Teilchen, einen kleinen Anteil stellt jedoch auch die Gammastrahlung. Sie wird nicht von kosmischen Magnetfeldern abgelenkt und weist daher direkt zu ihrem Ursprung zurück. Da die Physiker davon ausgehen, dass die Gammastrahlung aus denselben Quellen stammt wie die energiereichen Teilchen, fahnden sie mit spezialisierten Gammastrahlen-Observatorien nach den kosmischen Teilchenbeschleunigern.

Ähnlich wie mit der kosmischen Gammastrahlung lässt sich auch mit Neutrinos in kosmische Teilchenbeschleuniger spähen. Neutrinos sind ultraleichte, elektrisch neutrale Elementarteilchen, die ebenfalls nicht von Magnetfeldern abgelenkt werden und so ihren Ursprung verraten. Stegmann abschließnd: "Auf beiden Wegen erwarten wir spannende Einblicke in die natürlichen Teilchenbeschleuniger des Universums, die neues Licht in die verbliebenen Rätsel der kosmischen Strahlung bringen werden." (red, derStandard.at, 6. 8. 2012)