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"Berggorillas reden nicht gescheit daher und leben in einer ehrlichen Gemeinschaft", sagt Herr Glockner.

Wir sind in der Anästhesieambulanz. Hier werden die Patienten vor geplanten OPs begutachtet, vorhandene Befunde kontrolliert, noch notwendige Untersuchungen angeordnet. Das Ziel ist, den Patienten im bestmöglichen Zustand auf die OP vorzubereiten. Die Verantwortung dafür liegt in den Händen der Anästhesisten. Wir geben den Patienten frei für die OP, sonst niemand.

Ich sitze in der Anästhesieambulanz, ich sitze gerne in der Anästhesieambulanz. Es ist ganz anders als im OP. Neben den fachlich notwendigen Fragen kommt man ins Gespräch, erklärt die Narkose, versucht, Ungewissheiten und Ängste zu nehmen, Sicherheit und Vertrauen zu schaffen. Es wird viel geredet, mehr als sonst, wir gewinnen aus diesem Gespräch wichtige Informationen. Oft mehr als durch nackte Befunde. Und das ist wichtig.

Ich sitze in der Anästhesieambulanz. Herr Glockner kommt zu mir, ein rüstiger älterer Mann mit noch vielen Haaren, weiß, mit blauen Augen und wachem, klarem Blick. Ich schaue auf das Geburtsjahr, 89 Jahre, alle Achtung. "Grüß Gott, Herr Glockner." Ich strecke ihm die Hand entgegen, sein kräftiger Händedruck quetscht mir die Finger zusammen, bestätigt meinen Eindruck. Da werde ich wohl nicht mehr viele Befunde brauchen, denke ich mir. Geplant ist eine Bruchoperation in der Leiste, nichts Großartiges. Ich frage nach Größe, Gewicht, vorherigen Operationen.

"Und Allergien, sind sie auf etwas allergisch?" Herr Glockner beugt sich nach vorne und schaut mich an: "Ja, auf Menschen." Dann, nach kurzem Zögern: "Ich mag nicht die, die immer so gescheit daherreden, diese Besserwisser, diese wichtigen Ich-Menschen, die sich selbst am wichtigsten sind, nicht zuhören können, die alles besser wissen, überall dreinreden und supertoll sind, ich mag diese Neurotiker nicht."

Ich schaue ihn an, sage gar nichts darauf, bin schmähstad und frag ihn nur: "Ja, aber Tiere mögen sie sicher, Hunde, Katzen ...?" - "Hunde, Katzen, ja, aber weniger, wissen sie, am liebsten mag ich Berggorillas." - "Berggorillas? Warum denn gerade Berggorillas?" - "Na, die leben so im Verband, da ist alles klar, normal, offen, die leben in einer ehrlichen Gemeinschaft. Da gibt's keine Besserwisser."

Herr Glockner sitzt so da mit seinen 89 Jahren und meint das alles ernst. Ganz selbstbewusst und selbstverständlich. Toll. Und ich sitze auch so da und gern in der Anästhesieambulanz, denk ich mir jetzt. Und ich frage mich: "Hat er nicht recht, der Herr Glockner, der allergisch auf Menschen ist und Berggorillas liebt?" (Robert Mosser, derStandard.at, 7.8.2012)