Dave Mason, Produktmanager bei Mozilla für die Web-Plattform.

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FirefoxOS

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Egal welchen Browserstatistiken man vertraut, in einem Punkt sind sich praktisch alle einig: Der jahrelange Aufstieg des Firefox scheint zumindest vorerst gestoppt. Irgendwo zwischen Stagnation und leichtem Abwärtstrend bewegen sich derzeit die Marktanteile des freien Browsers von Mozilla. Das ist natürlich dem Projekt selbst auch durchaus bewusst, also hat man bereits vor einiger Zeit den eigenen Release-Prozess umgekrempelt, und versucht so nun große Neuerungen wesentlich schneller an die NutzerInnen auszuliefern.

Darüber hinaus versucht sich die Non-Profit-Organisation derzeit aber auch in ganz neuen Geschäftsbereichen: Mit dem Firefox OS arbeitet man an einem eigenen mobilen Betriebssystem, das die offene Herangehensweise von Mozilla in den mobilen Bereich übertragen soll.

Über all dies, die Stärken und Defizite von Firefox sowie eine mögliche Nachfolge für die Mozilla-Rendering-Engine Gecko hat sich derStandard.at, am Rande der Linux-Desktop-Konferenz GUADEC mit Dave Mason, Produktmanager bei Mozilla für die Web-Plattform, unterhalten. Vor seiner Zeit beim Browserhersteller war Mason einige Jahre für den Linux-Spezialisten Red Hat tätig. Geführt wurde das Gespräch von Andreas Proschofsky, für alle Interessierten steht das Interview auch wieder in der englischsprachigen Originalfassung zur Verfügung.

derStandard.at: Nach Jahren des steten Wachstums zeigen aktuelle Markttrends einen leichten Abwärtstrend für Firefox, kann Mozilla mit Google nicht mehr mithalten?

Dave Mason: Reden wir zunächst einmal über diese Zahlen: Was dabei eigentlich nie erwähnt wird, ist, dass das Internet als Ganzes immer noch wächst, da es immer mehr Teile der Welt erreicht, in denen es bislang nicht verfügbar war.. Dazu kommt die steigende Nutzung des Webs am Smartphone, das sind alles alles neue Installationen (oder sogar neue Benutzer). Insofern: Ja, wenn man sich die prozentualen Marktanteile ansieht, scheinen wir zu verlieren, die absolute Zahl der Firefox-Nutzer wächst dabei aber immer noch.

derStandard.at: Was sind die wichtigsten Verkaufsargumente für Firefox im Vergleich zu anderen Browsern? Warum sollten NutzerInnen von Chrome oder IE umsteigen?

Dave Mason: Datenschutz. Wir legen sehr viel Wert auf Dinge wie "Do not track" oder das Collusion-Addon, das aufzeigt, wer ihre Tätigkeiten auf einzelnen Webseiten mitverfolgt . Manchmal ist es wirklich beängstigend zu sehen, wie sich das Internet in dieser Hinsicht entwickelt hat. Die Zahl der Unternehmen, die genau wissen, was man gerade tut, ist erschreckend. In diesem Bereich - vor allem rund um Collusion - haben wir noch einige Ideen, die wir bald vorstellen wollen.

Zum Glück haben wir zuletzt auch wieder verstärkt in den Bereich Performance investiert und als Ergebnis zeigen Test nun, dass wir in dieser Hinsicht ziemlich gut, manchmal sogar besser als andere Browser abschneiden.

derStandard.at: Mozilla wird vor allem von Google finanziert, das wiederum sein Geld damit macht, Informationen über seine BenutzerInnen zu sammeln und auf diesem Wissen basierend angepasste Werbung anzubieten. Insofern scheinen die erwähnten Privacy-Verbesserungen im Firefox nicht gerade in Googles Interesse zu sein. Wurde Mozilla je unter Druck gesetzt, auf solche Dinge zu verzichten?

Dave Mason: Nein. Trotz seiner Größe geht Google wirklich sehr fair mit uns um. Ich weiß nicht, ob alle Unternehmen eine solche Situation so managen könnten - in den frühen Tagen des Internets wäre so etwas jedenfalls unmöglich gewesen. Schlussendlich ist der Suchmaschine-Deal aber einfach auch ein gutes Geschäft für Google, weil wir ihnen viel Traffic bringen.

derStandard.at: Die Mozilla-Roadmap listet eine ganze Reihe von anstehenden Neuerungen? Welche davon begeistert Sie am meisten?

Dave Mason: Definitiv Firefox OS, das ist einfach ein großer Schritt für Mozilla, es ist gleichermaßen aufregend wie beängstigend. Dies ist das erste Mal, dass wir Partnerschaften mit anderen Unternehmen eingehen müssen, um zum Ziel zu kommen, und das ist natürlich eine Herausforderung.

derStandard.at: Auf welchen Markt zielen sie mit Firefox OS ab?

Dave Mason: Zunächst werden das jene Gegenden sein, in denen das Internet erst seinen Aufstieg erlebt, Orte wie Brasilien oder Kolumbien, wo Smartphones bisher für viele zu teuer sind. Wir visieren einen Preis an, der weit unter dem liegt, was die meisten Smartphones heutzutage kosten.

derStandard.at:.Was ist Mozillas Motivation für Firefox OS?

Dave Mason: Das Web verschiebt sich immer mehr in Richtung Mobiltelefone, hin zu kleineren Geräten. Und wenn wir unsere Mission - das Web "offen" zu halten - erfüllen wollen, müssen wir natürlich auch in diesem Bereich aktiv sein. Das hat mit Firefox für Android begonnen, Firefox OS ist da der nächste logische Schritt. Die Web-Nutzung verschiebt sich immer mehr in Richtung Apps, wo die Idee offener und freier - wie in freier Software - Anwendungen noch nicht wirklich angekommen ist. Rund um die App Stores von Apple und Google gibt es einfach zu viele Sperren. Und das wollen wir aufbrechen. Wir wollen Anwendungen, die überall laufen. Ein Handy-Betriebssystem ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

derStandard.at:.Das Team, das sich um Firefox OS kümmert, ist signifikant kleiner als die entsprechenden Entwicklungsgruppen von Google oder Apple. Ist es so überhaupt realistisch möglich mitzuhalten?

Dave Mason: Ich denke schon. Und da wir zunächst einmal einen spezifischen Markt anvisieren, stehen wir in gewisser Weise auch gar nicht in direkter Konkurrenz. Hoffentlich werden wir später einmal zu einer, wenn sich Firefox OS auf mehr Länder ausdehnt, aber im Moment sind wir keine Konkurrenz.

derStandard.at: Firefox OS benutzt Technologien wie HTML / CSS und Javascript für den Großteil des Codes. Ist man damit überhaupt in der Lage, auf solchen Niedrigpreisgeräten einen ordentliche Performance abzuliefern?

Dave Mason: Ich würde sagen, dass unsere ersten Testversionen belegen, dass wir das können. Dies sind zwar in dieser Hinsicht noch nicht perfekt, aber Performance hatte zunächst auch nicht die höchste Priorität. Vor kurzem haben wir aber "Code Completion" erreicht, von nun an steht die Steigerung der Performance im Zentrum.

derStandard.at: Gab es Überlegungen mit anderen Projekten wie Tizen, die in eine ähnliche Richtung (HTML5/CSS/Javascript als Plattform) gehen, zusammenzuarbeiten?

Dave Mason: Nein, wir sind das einfach anders angegangen. Boot2Gecko ist als Experiment entstanden, wir wollten eigentlich nur mal ausprobieren, ob so etwas funktionieren könnte. Es war nicht so, als ob wir uns überlegt hätten: "Wir wollen ins Mobiltelefongeschäft, das hier sind unsere Optionen". Aber als wir das Projekt dann öffentlich gemacht haben - weil wir über alles offen kommunizieren - waren wir von dem starken Interesse gerade auch der Telekom-Konzerne überrascht. Deren Interesse besteht vor allem an dem Konzept eines App-Ökosystem, das so offen wie das Web ist. Einige dieser Unternehmen, finden es sehr schwer mit den abgesperrten Welten von Apple - und in mancherlei Hinsicht - Google umzugehen.

derStandard.at: Die Unterstützung von Tablets ist ausgeschlossen?

Dave Mason: Keineswegs. Es ist nur nichts, worauf wir uns jetzt gerade konzentrieren, also haben wir keine konkreten Pläne. Aber da Firefox OS vollständig offen ist, kann ich mir schon vorstellen, dass einige Leute auch ganz ohne uns so etwas in die Hand nehmen.

derStandard.at: Der Plan ist, dass die selben Apps sowohl auf mobilen Plattformen als auch auf dem Desktop laufen?

Dave Mason: So ist es. Dazu brauchen wir entsprechende Web-Runtimes auf all diesen Plattformen, für Linux, Windows und Android haben wir diese schon - und natürlich sollten all diese Anwendungen dann auch perfekt unter Firefox OS funktionieren. Die Erstellung einer App ist denkbar einfach, besteht sie doch nur aus HTML und Javascript sowie einer kleinen Manifestdatei, die erklärt, worum es geht - das war es schon.

Für mich ist das einer der stärksten Anziehungspunkte für Mozilla: Ich glaube fest daran, dass es wichtig ist, mehr Menschen die Entwicklung von Technologien zu ermöglichen. Und HTML5/CSS - und in gewissem Maße Javascript - stellen hier eine wesentlich niedrigere Hürde dar als klassische Toolkits zur Herstellung von Anwendungen.

Zwischen meinen Jobs bei Red Hat und Mozilla habe ich einige Zeit bei einer Non-Profit-Organisation im Gesundheitsbereich gearbeitet, die Technologien vor allem für Afrika entwickelt hat. Und ein Hauptaugenmerk lag darauf, dafür zu sorgen, dass alles was wir aufbauen, später innerhalb des Landes weiter gepflegt werden kann. Damit man eben nicht wieder uns rufen muss, um etwas zu reparieren. Denn Non-Profit-Organisationen arbeiten meist mit einer unsicheren Finanzierung beziehungsweise haben sie diese nur bis zu einem bestimmten Datum. Und wenn man dann irgendwo hingeht, und sagt: "Wir haben euch diese erstaunliche neue Technologie hingestellt, aber jetzt müssen wir leider gehen, weil das Geld aus ist", dann lässt man die Leute zurück, ohne dass sie wissen, wie sie etwaige Probleme lösen können.

Und das hat mein ganzes Denken, wie man an Technologie herangeht, vollständig verändert. Es muss einfach stärkere Anstrengungen geben, um den Zugang zu Technologien für alle zu öffnen.

derStandard.at: Im Moment arbeitet Mozilla mit Servo an einer völlig neuen Rendering-Engine. Ist das "nur" ein Experiment oder soll diese einmal Gecko ablösen?

Dave Mason: Es ist sicher nicht so experimentell, wie andere Dinge, die wir tun, immerhin arbeitet bereits ein vollständiges Team an Servo - und an Rust (die neue Sprache mit der die Rendering Engine entwickelt wird, Anm.). Und klar steckt die Idee, dass wir eines Tages Gecko durch Servo ersetzen, irgendwo in unseren Hinterköpfen, für einen konkreten Zeitplan ist es aber noch viel zu früh.

derStandard.at: Welche Defizite in Gecko versuchen sie mit Servo zu lösen?

Mason: Performance steht dabei zweifelsfrei ganz oben auf der Liste. Und die Möglichkeit einzelne Prozesse vernünftiger von einander trennen zu können, als das mit Gecko geht

derStandard.at: Also das, was mit dem Project "Electrolysis" vor einigen Monaten gescheitert ist?

Dave Nun, es ist in dem Sinne gescheitert, dass wir es nicht schnell genug fertig bekommen haben. Zu dem Zeitpunkt, als wir uns entschlossen haben, dieses Projekt zu beenden, hatten wir schon andere Wege gefunden, um bessere Performance zu erreichen - die aber wesentlich weniger zeitaufwändig als "Electrolysis" sind." Also haben wir einfach viel zu lange gebraucht, um das zu entwickeln, was sicher an sich ein lange währendes Problem bei Mozilla war. Eines von dem ich aber glaube, dass wir es mit unserem neuen Release-Zyklus gelöst haben.

derStandard.at: Wenn schon Überlegungen angestellt werden, die Rendering Engine zu wechseln, warum dann nicht gleich auf Webkit wechseln - und so mit Apple und Google zusammenzuarbeiten?

Dave Mason: Ich wünschte, das wäre so einfach wie es klingt. Ein Problem dabei ist: So etwas wie "ein" Webkit gibt es nicht. Es gibt ein Webkit in Chrome, es gibt fast schon ein zweites in Chromium (der Open-Source-Basis von Chrome, Anm.) es gibt ein drittes Webkit bei Apple, und sogar noch ein viertes, das bei iOS zum Einsatz kommt. Und natürlich das Upstream-Webkit, das einst aus dem KDE-Projekt entsprungen ist. Und wenn man sich dann einige HTML5-Tests ansieht, stellt man schnell fest, dass sich all diese recht signifikant unterscheiden.

Zudem wäre es für uns derzeit sehr schwer Gecko auszutauschen, wir würden uns damit viele neue Probleme einhandeln. Und jetzt wo Gecko wieder besser mit Webkit mithalten kann - entgegen der Wahrnehmung mancher - bin ich mir auch nicht sicher, ob das eine gute Wahl wäre. Ich sage nicht, dass wir fundamental gegen so einen Schritt wären, oder dass wir das nie machen würden, aber derzeit würde die Entfernung von Gecko mehr Aufwand als Nutzen bedeuten.

derStandard.at: Wir danken für das Gespräch.

(Andreas Proschofsky, derStandard.at, 12.08.12)