Da in den vergangenen sechs Jahren signifikant weniger weibliche Bewerberinnen den Eignungstest für das Medizinstudium (EMS) bestanden haben, sollte heuer eine genderspezifische Auswertung für Gendergerechtigkeit sorgen. Und tatsächlich wurden an der Medizin-Uni Wien erstmals mehr Frauen als Männer zugelassen. Die erwarteten Klagen wegen Diskriminierung blieben nicht aus. Zu Recht.

Faktum ist, dass Frauen in vielen gesellschaftlichen Bereichen noch immer diskriminiert sind. Faktum ist darüber hinaus, dass die Diskriminierung von Frauen gerade bei vielen prestigereichen Berufen besonders subtil abläuft und besonders schwer zu bekämpfen ist, weil sie häufig strukturell oder unbewusst stattfindet. Es ist notwendig, den Missstand der Diskriminierung von Frauen als einen solchen zu identifizieren und dagegen vorzugehen, auf allen Ebenen und mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Aber bietet ein Studieneignungstest den richtigen Ort und den richtigen Zeitpunkt für eine solche Maßnahme? Und kann man durch genderspezifische Auswertung mehr Gendergerechtigkeit herstellen?

Man stelle sich etwa vor, männliche Studierende würden bei einem Eignungstest für Dolmetscher bevorzugt werden, weil sie in diesem Studium und in diesem Beruf krass unterrepräsentiert sind und weil Männern generell unterstellt wird, weniger sprachbegabt zu sein als Frauen (ob das Letztere stimmt oder nicht, ist in diesem Fall unerheblich - es geht nur darum, ob eine bestimmte Begabung gemeinhin als eher männlich oder eher weiblich wahrgenommen wird). Würden sich die weiblichen Kandidatinnen nicht zu Recht übervorteilt fühlen?

Den Test muss man sicherlich aus anderen, inhaltlichen Gründen hinterfragen: Gibt er Aufschluss über die berufliche Eignung? Der Beruf des Arztes stellt sowohl an Mann als auch an Frau komplexe Anforderungen, sowohl wissenschaftlich-theoretischer als auch sozial-psychologischer Natur. Medizinstudierende sollten in ihrem Studium neben der naturwissenschaftlichen Theorie auch soziale Kompetenzen erwerben - Männer und Frauen gleichermaßen. Dass Buben vermittelt wird, sie seien naturwissenschaftlich und technisch begabter als Mädchen, und Mädchen dahingehend erzogen werden, mehr soziale Kompetenzen zu entwickeln als Buben, mag traurigerweise auf die (österreichische) Gesellschaft und das österreichische Bildungssystem zutreffen. Dass sich diese Ungleichbehandlung in der Kindheit auf die spätere Berufswahl und die Performance im  Beruf auswirkt, wird wohl ebenfalls zutreffen. Einen Eingungstest, der diese Missstände bisher bekräftigt und bestätigt hat, nun auf manipulative Weise auzuwerten hilft niemanden.

Eine mildere Beurteilung eines Eignungstests ist kein geeigneter Nachteilsausgleich. Sie führt den Test als solchen ad absurdum, ohne seine Qualität zu verbessern, und unterminiert darüber hinaus die Kompetenz weiblicher Bewerberinnen. Diese Vorgehensweise sendet falsche Signale an alle zukünftigen Studierenden. Selbstverständlich sollte es ein Ziel sein, dass in etwa gleich viele Frauen wie Männer die Chance bekommen, den Arztberuf zu ergreifen. Aber eine geschlecherspezifische Auslegung von Testergebnissen kann nicht das geeignete Mittel dafür sein. (Mascha Dabić/Olivera Stajić, daStandard.at, 8.8.2012)