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Das menschliche Sehsystem passt sich Unregelmäßigkeiten an.

Foto: APA/Britta Pedersen

Für die Verarbeitung der menschlichen Seheindrücke ist die korrekte Verteilung der Information beider Augen auf die Hirnhälften wesentlich. Im Sehsystem spielt dabei die Sehnervenkreuzung eine Schlüsselrolle: Hier wird die Information aus der rechten oder linken Hälfte der Sehwelt auf die jeweils gegenüberliegende Hirnhälfte geleitet. Folglich wäre zu erwarten, dass die Sehnervenkreuzung beim Menschen unentbehrlich für das Sehen ist.

In einer umfangreichen internationalen Kooperation ist es Wissenschaftlern, unter anderem der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg, gelungen, zwei extrem seltene Fälle ohne Sehnervenkreuzung detailliert zu untersuchen. Sie haben eine alternative Organisation des menschlichen Sehsystems nachgewiesen, die Grundfunktionen des Sehens gewährleistet.

Ohne Sehnervenkreuzung von Geburt an

Die Untersuchung von zwei Menschen, denen von Geburt an die Sehnervenkreuzung fehlte (Achiasmie), ermöglichte einem Team von Wissenschaftlern dreier Kontinente einzigartige Einblicke in die Entwicklung des menschlichen Sehsystems. Sie berichten in der Fachzeitschrift Neuron, dass durch diese außergewöhnliche und extreme Abnormalität zwar Fähigkeiten wie beispielsweise das räumliche Sehen der Betroffenen beeinträchtigt sind, dass aber andere wesentliche Aspekte der Sehfunktion erhalten bleiben.

Mit bildgebenden Verfahren, unter anderem mithilfe eines 7 Tesla Ultrahochfeld Kernspintomographen, wurde dabei nachgewiesen, dass der Projektionsfehler der Sehnerven nachfolgende Verbindungen im Gehirn weitgehend unverändert lässt und dass so dieser Fehler einfach an die nachfolgenden Verarbeitungsstufen weitergegeben wird. Das Ergebnis sind hochgradig untypische Antworten in der Sehrinde mit überlappenden Karten gegenüberliegender Halbfelder in der primären und auch der höheren Sehrinde, heißt es in einer Aussendung der Magdeburger Forscher. Dass dennoch wesentliche Aspekte der Sehfunktion der Betroffenen weitgehend erhalten sind, führen die Wissenschaftler auf lokale kleinformatige Veränderungen innerhalb der kortikalen Karten der Sehwelt zurück, die die großformatigen fehlerhaften Verbindungen kompensieren. (red, derStandard.at, 9.8.2012)