Michael Häupls Ansage, ernsthaft über eine Kennzeichnungspflicht für Fahrräder in der Bundeshauptstadt nachzudenken, hat eine überhitzte Sommerdebatte über das Fahrradfahren in Österreichs Städten ausgelöst (derStandard.at hat berichtet).
Der Wiener Bürgermeister und SPÖ-Vorsitzende springt damit unkritisch und wenig faktenbasiert auf eine populistische Debatte auf. Verkehrspolitisch ist der Vorschlag unsinnig und läuft den Zielen der sozialdemokratisch geführten Stadtregierung entgegen. Dreht sich doch die Debatte in Wien bislang darum, ob es sog. Rad-Rowdies gibt und wie man ihnen - wenn dieses Problem wirklich existiert - Herr werden kann. Im Wiener Straßenverkehr sind jedoch nicht Rad-Rowdies das Problem, sondern eher zu viele Autos und eine schlechte Verkehrsinfrastruktur für Fußgänger und Radfahrer..
Selbstverständlich steigt mit zunehmendem Anteil des Fahrrades am Verkehrsaufkommen auch der Anteil derjenigen, die es mit Regeln und gegenseitiger Rücksichtnahme nicht so genau nehmen. Die Unfallstatistik zeigt jedoch, dass das Problem unsicherer Straßen immer noch eines von unverantwortlichen Autofahrern also von Auto-Rowdies ist. Ich fahre täglich, das ganze Jahr mit dem Rad zur Arbeit und es vergeht kein Tag an dem mich ein Autofahrer oder eine Autofahrerin nicht StVO-widrig gefährdet.
Im Fall des Konflikts von Radfahrern mit den von Häupl ins Treffen geführten älteren Fußgängern kommt ein großes Problem Wiener Verkehrspolitik ins Spiel: Fußgänger und Radfahrer müssen sich eine im Vergleich zum Auto sehr kleine und zudem miserabelst gestaltete und gekennzeichnete Verkehrsinfrastruktur teilen. Dies bietet automatisch Konfliktpotenzial für alle Beteiligten.
Es ist jedoch intellektuell unredlich, dieses Konfliktpotenzial dem steigenden Fahrradanteil im Verkehr Wiens zuzuschieben. Zumal es keinerlei statistisches Datenmaterial für Unfälle von Radfahrern mit Fußgängern gibt. Weder die MA 46, noch das KFV oder die Statistik Austria erheben das.
Eine Lösung ist daher nicht eine Kennzeichnungspflicht. Zumal in der Verkehrspolitik längst erwiesen ist, dass alle Maßnahmen, die die Nutzung des Fahrrades erschweren oder verkomplizieren, zu einem niedrigeren Anteil am "modal split" einer Stadt führt. Das war und ist so bei der Helmpflicht und auch bei den Nummerntafeln.
Hier mag die Schweiz als Negativbeispiel dienen. Die Eidgenossenschaft hat die Kennzeichnungspflicht daher wieder abgeschafft. Ohnehin ging es in der Schweiz mehr um die Haftpflichtversicherung der RadnutzerInnen, die jedoch auch in Österreich über die private Haftpflicht in den meisten Fällen gegeben ist. Insofern würde Häupl mit einer Kennzeichnungspflicht dem von Rot-Grün selbst gesteckten Ziel der Erhöhung des Fahrradanteils im Wiener Stadtverkehr entgegenarbeiten, sich selbst konterkarieren.
Über Nummernschilder für Fahrräder eine Volksbefragung abzuhalten, wie nun der Wiener SPÖ-Klubobmann und ehemalige Verkehrsstadtrat Rudi Schicker vorgeschlagen hat, setzt dem bisherigen Populismus noch die Krone auf. Rudi Schicker hätte sich wohl heftigst gegen eine Volksabstimmung zum Thema Tempolimit gewehrt.
Stattdessen würde eine gut geplante und gestaltete Verkehrsinfrastruktur für alle Verkehrsteilnehmer/innen vieles entkrampfen helfen. Positivbeispiele sind hierfür Kopenhagen, Amsterdam, das italienische Ferrara oder Parma oder die deutschen Städte Münster und Freiburg.
Der politische Gegner, in diesem Fall die rechtsextreme Wiener FPÖ, hat das Thema Radfahrverkehr stets dazu ausgenutzt, Gruppen gegeneinander auszuspielen und sich so zum Träger eines vermeintlichen Volkszornes aufgeschwungen. Nun ist es jedoch eine falsche Annahme, es gäbe "die Radfahrer" als homogene Gruppe, die dann auch noch geschlossen die Grünen wählt. Vielmehr gibt es eine wachsende Gruppe von Menschen, die das Rad einfach als das sieht, was es ist: das praktischste, günstigste und schnellste Fortbewegungsmittel in der Stadt.
Sollte diese Debatte eine besonders gefinkelte, taktische Finte der Wiener SP-Spitze gewesen sein, die die tumben Basis-Sozialdemokraten bloß nicht erkannt haben, so ist diese jedenfalls ziemlich nach hinten los gegangen. Zu groß ist der Ärger bei vielen Parteimitgliedern wie auch beim Koalitionspartner. Übrig bleibt das Bild einer Partei, die nicht so ganz genau weiß, wie sie eine moderne, urbane Verkehrspolitik gestalten soll. Es wird höchste Zeit, dass die Wiener SPÖ darüber im besten Sinne des Wortes streitet. (Georg Brockmeyer, DER STANDARD, 10.8.2012)