Wenn es darum geht, Schuld und Unheil von sich ab- und anderen in die Schuhe zu schieben, dann wird in Österreich zur Zeit viel geredet - Wasserfälle sind Rinnsale dagegen. Nur die zwei, denen das Land die Brühe vor allem verdankt, in der es zu versinken droht, schweigen. Der eine hat sich ein Alibi verschafft, an dem nicht mehr zu rütteln ist. Vom freiheitlichen Walhalla aus kann er denkmalgeschützt verfolgen, wie einstige Anbeter sein Charakterbild in der Lokalgeschichte zwischen holder Ahnungslosigkeit und schlüpfrigster Korrumpierbarkeit schwanken lassen. Wenn Strache nun mit dem Satz "Er wollte mich kaufen" Jörg Haider als politischen Schnäppchenjäger diffamiert, ist das etwa so brisant wie der Knallfrosch, mit dem Petzner die Rolle Haiders als reiner Tor unter schwarzen Schandgeldraffern zu Gehör brachte.

Weilt Jörg Haider also gewissermaßen als freiheitlich filtrierter Astralleib noch unter uns, hat sich Wolfgang Schüssel in einer Weise verdrückt, die eine Himmelfahrt vermuten ließe, hätte nur eine Verklärung stattgefunden. Wie von Österreichs Erdboden, den er als Bundeskanzler immerhin sechs Jahre mit seinen Ideen gedüngt hat, verschluckt! Sein Lebenswerk in aller Munde, Unschuld von einem noch nie dagewesenen Vermutungsausmaß, die besten Köpfe seiner Regierung treten konfabulierend vor Untersuchungsausschüsse - nur der Philosoph hat sich in einer Art vertschüsst, die den Kollegen Empedokles geradezu als publicitysüchtig erscheinen lässt.

Dem stand auch ein Ätna zur Verfügung, an dessen Kraterrand man wenigstens ein Paar Sandalen als Spuren seines Erdenwallens hinterlassen konnte. Die Hinterlassenschaft von Schüssels Kanzlerwallen treibt die Justiz - und seine Partei - an den Rand der Überforderung und womöglich darüber hinaus. Nur er hält sich im Verborgenen, als trüge er für all das nicht die geringste Verantwortung, ja als gäbe es Politikerverantwortung nur noch vor Gericht, aber nicht vor der Öffentlichkeit. Die Partei, für die er einst das Kanzleramt erschlich, ist dabei, den dritten Nachfolger als Obmann zu verschleißen, ihre Werte versacken, für seinen einstigen Koalitionspartner verkörpert sie plötzlich "das System", von dem sich Haider korrumpieren ließ. Nur er spricht kein einziges Wort.

So wird ihre Seele nicht gesund. Wo er ohne Mühe die Dinge klarstellen könnte, wenn er es könnte, erlaubt er es den Bartensteins und Lopatkas, ihn second hand als naives Opfer des Dämons aus dem Bärental vorzuführen, der "dieser Koalition das Leben bei Gott nicht erleichtert" habe - so als hätte nicht spätestens seit 1986 jede/r Interessierte gewusst, dass da ein politischer Borderliner mit anrüchiger Herkunft einsteigt. Aber bei Wahlen nur Dritter werden und die verhassten Roten dennoch auszubooten, schien das Risiko wert. Und manche würden es mit Strache wieder eingehen, er empfiehlt sich schließlich als der Erste, der erkannt haben will, dass Haider seinen Grundsätzen nicht treu geblieben sei. Welch ein Genie!

Jetzt will die ÖVP-Spitze nach dem Ethikrat auch noch den Durchgriff auf die Landesparteien. Da könnte Schüssel wenigstens Glück wünschen. (Günter Traxler, DER STANDARD, 10.8.2012)