Bei aller Mühe, die ich mir gebe, um Wladimir Putin als staatstragenden und demokratischen Richtungsweiser eines zivilisierten Landes wahrnehmen zu können: Die Übung will und will mir einfach nicht gelingen. Das Interessante an dieser Angelegenheit ist die Tatsache, dass alte KGB-Witze plötzlich wieder topaktuell werden. Das ist einerseits gut, weil man jetzt, ohne sich einlesen zu müssen, topaktuelle Anekdoten erzählen und auf Partys leicht die Stimmungskanone sein kann.

Andererseits ist es ziemlich schlecht, weil die Zeiten, aus denen diese Witze stammen, keine sehr entspannten gewesen sind. Kleinkinder oder Papageien stellten eine gefährliche Angelegenheit für den humorliebenden Sowjetbürger und die scherzaffine Sowjetbürgerin dar. Vorsicht war allzeit geboten.

Ich kann mich noch erinnern, wie ich als unschuldige Fünfjährige mit großer Begeisterung meine Verwandten zum Erbleichen, ja zum Ganzkörperschlottern gebracht habe. Nach meinem ersten Spitalsaufenthalt hatte ich meinen Blinddarm gegen einige Politwitze eingetauscht, die mir ein Junge in der Nacht geflüstert hatte. Er hatte ein Gipsbein. Ich hatte Schmerzen und Heimweh. Er war älter. Ich fand ihn umwerfend. Er schlich sich nachts heimlich in mein Krankenzimmer, saß Stunden auf meinem Bett und erzählte, erzählte, erzählte. Ich war berauscht davon. Verstand wenig. Quatschte aber später umso mehr und lauter weiter. Auf der Straße. Im Geschäft. Im Kindergarten.

Die betretenen Gesichter der Erwachsenen spornten mich dabei ungemein an. Ich hatte plötzlich Macht. Ich konnte sie mit ein paar eigenartigen Sätzen zum Schwitzen zu bringen. Zum Beispiel so: "Hallo, spreche ich mit der KGB-Zentrale?" "Ja. Was wollen Sie?" "Mein Papagei ist entflogen." "Da sind wir nicht zuständig." "Ich wollte nur festhalten, dass ich seine Meinung keinesfalls teile."

Die traurige Aktualität lässt sich in Zeiten wie diesen, wo ein Protestsong bis zu sieben Jahre Haft für junge Frauen einbringen kann, leider nicht von der Hand weisen. Die drei Musikerinnen von Pussy Riot sitzen immer noch ein, die Verhandlung ist ein Schauprozess ohnegleichen und strotzt vor absurden Anschuldigungen. Die Befürworter dieser Politik finden das angemessen, sie behaupten auch, die Meinungsfreiheit sei gegeben, die Befürworter von Pussy Riot und einige NGOs wären feindliche Agenten.

Das erinnert mich an einen anderen alten Witz, der gerade erneut Dernier Cri wird: Ein Amerikaner: "Im Unterschied zu euch Russen habe ich Meinungsfreiheit. Ich kann sogar jederzeit sagen: 'Weg mit Reagan!'." Der Russe, sehr gelassen: "Na und? Ich kann auch jederzeit 'Weg mit Reagan!' sagen."

(Julya Rabinowich, Album, DER STANDARD, 11./12.8.2012)