Bild nicht mehr verfügbar.

Glen Mills (links) wirkt seit langem Wunder, etwa beim zweifachen Olympia-Zweiten Yohan Blake.

Foto: dapd/Reid

London -London - Jacques Rogge, IOC-Präsident und Belgier, muss klarerweise nicht alles verstehen. Umgekehrt muss er auch nicht in einer Tour den Mund aufmachen, wenn ihm danach ist.

Am Donnerstagabend wäre so ein Mundhaltemoment gewesen, da sagte er: " Wenn er verletzungsfrei bleibt und seine Motivation behält und an drei, vier Spielen teilnimmt, kann Usain Bolt eine Legende sein." Aber, na aber eben: "Eine Ikone ist er aber schon."

Den Unterschied zwischen "Ikone" und "Legende" darf der IOC-Chef klavierspielen, während Usain Bolt, der sein Sprintdouble von Peking vier Jahre später in London wiederholte, dem Belgier den Unterschied zwischen dem englischen "understand" und dem rastafarischen "overstand" erklärt. (Und dabei eventuell dem Sportminister Darabos die österreichische Übersetzung mitliefert: das Land hat sich "unterstanden" , zu den Spielen London zu reisen, welches es nun eh bald schon " überstanden" hat.)

Unterstehen, überstehen, Ikone oder Legende: Dass die Karibikinsel Jamaika mit ihren nicht einmal drei Millionen Einwohnern über die 200 Meter gleich drei Männer aufs Olympiapodest geschickt hat, den Lauf über die Sprintstrecken seit Jahren beidgeschlechtlich dominiert, kann selbst in der Wahrnehmung der ganzen Welt kein Zufall sein, die deshalb gerne und häufig ins Munkeln gerät.

Mag sein, Carl Lewis, der Bolt-Vorgänger aus den USA, hat schon recht, und das alles - Jamaika ist die Sprinternation Nummer eins von Merlene Ottey bis eben Usain Bolt und über den merkbar schon wieder hinaus - lässt sich nicht nur auf Training zurückführen.

Andererseits erscheint die als Dope-Paradies auch nicht ganz unbekannte Insel doch auch ziemlich "too small to make a good doping", weshalb manche auf recht krude Rassismustheoreme zurückgreifen, die unlängst erst ein sogenanntes "Sklaven-Gen" ausgemacht haben, welches sonst nur im ostafrikanischen Hochland zu finden wäre.

Dort also, wo einst Haile Selassie, der Kaiser von Abessinien, auf Erden wandelte, dem sich dann wiederum die jamaikanischen Rastafaris ein wengerl verpflichtet fühlten und fühlen. So eng verzahnt sich auch im Laufen die Welt. Ikone hin, Legende her.

Vergleichsweise gewöhnlich

Da klingt es vergleichsweise gewöhnlich, die Geschichte so zu erzählen, als hätte sie anderswo stattgefunden. Also dass ein Bub einem ambitionierten Trainer in die Hände fällt, dessen pädagogischer Eros so sehr wider den Stachel der bübischen, später pubertierenden Aufsässigkeit und Madelbezüglichkeit löckt, dass daraus halt was wird.

Glen Mills ist so einer gewesen, ein selber gescheiterter Sprinter, der sein Scheitern ins Positive wendete. Bolt sagt über ihn: "Er ist die inspirierende Kraft in meiner Karriere." Nein, widerspricht Yohan Blake, der von Bolt designierte Nachfolger von Bolt: "Er ist der Gott der Leichtathletik. Er hat es geschafft, dass Usain seinen Titel verteidigt, ich Silber hole." Gott ist klein, dick und ein bisserl unscheinbar. Aber er trifft - wie man auch an Warren Weir sieht, dem Dritten auf dem Stockerl - den richtigen Ton.

Ihm, der 1984 seinen ersten Schützling, Raymond Stewart, zu Silber führte und zur ersten jamaikanischen 100er-Zeit unter zehn, braucht niemand zu sagen, wie entscheidend manchmal der Unterschied zwischen unter- und überstehen ist. Die Rastas - eine genuin jamaikanische Religion, auch jenseits von Bob Marley - will das Positive auch in der Sprache betonen. Man gendert quasi, aber Richtung Gott. Das "under" in " understand" ist da kontraproduktiv. "I and I", wir also sagen lieber " overstand". (wei - DER STANDARD, 11.8. 2012)